Shardik
oder Lobhudelei – nur Einsamkeit, Unwissenheit und Gefahr. Wenn er seinem Herrn Shardik in geistiger und körperlicher Angst und Qual gedient hatte, konnte er sich wenigstens nicht vorwerfen, daß er die Tuginda zu seinem eigenen Vorteil verraten habe. In den vergangenen Jahren hatte er oft halb gehofft, daß Shardik seiner Verlegenheit ein Ende machen werde, indem er das Leben nähme, das er ihm so ausdauernd anbot. Aber Shardik hatte ihn nur ein einziges Mal angegriffen, indem er ihn plötzlich, als er durch die in die Stangen eingelassene Pforte eintrat, schlug und ihm den linken Arm brach wie ein trockenes Stück Holz. Er hatte vor Schmerz die Besinnung verloren, aber Sheldra und Nito, die hinter ihm gestanden hatten, retteten ihm das Leben, indem sie ihn sofort hinausschleppten. Der Arm war krumm zusammengewachsen, aber er konnte ihn weiter benutzen. Dennoch war er, sich über die Bitten der Mädchen und die Warnungen der Barone hinwegsetzend, sobald er dazu imstande war, dann und wann wieder vor Shardik getreten, und der Bär hatte sich ihm gegenüber nie wieder gewalttätig verhalten. Er schien tatsächlich Keldereks Annäherung gegenüber gleichgültig zu sein; oftmals hob er den Kopf, gleichsam um sich zu überzeugen, daß er es war und kein anderer, dann lag er weiter apathisch im Stroh. In solchen Fällen stellte sich Kelderek neben ihn und fand beim Beten Trost im Bewußtsein, daß trotz allem, was vorgefallen war, er und er allein Shardiks menschlicher Gefährte und Mittelsmann blieb. Und so entstanden aus seiner schwer erklärlichen Sicherheit seine schrecklichen Visionen von Trostlosigkeit, seine Überzeugung, daß er noch weit entfernt vom Ziel war, und sein Glaube, daß Shardik ein großes Geheimnis zu enthüllen habe.
Trotz seiner Stunden der Einsamkeit und Kasteiung war er aber doch kein bloßer Einsiedler, der immer über dem Unsagbaren brütete. In den vier Jahren seit seiner Rückkehr nach Bekla mit Shardik hatte er in den Ratssitzungen der Ortelganer durchaus seine Rolle gespielt und nicht nur eine Anzahl von Geheimagenten, sondern auch eine eigene Ratgebergruppe mit besonderer Kenntnis der einzelnen Provinzen, ihrer Eigenschaften und Hilfsmittel unterhalten. Vieles von den Informationen, die er erhielt, war militärisch wichtig. Vor einem Jahr hatte er die Nachricht von einem kühnen Plan zur Beschädigung der Gelter Eisenwerke erhalten, so daß Ged-la-Dan imstande gewesen war, die Agenten aus Yeldashay, die als Kaufleute aus Lapan verkleidet waren, auf ihrem Weg über Thettit nach Norden zu verhaften. Und jüngst, vor kaum drei Monaten, war aus Dari Paltesh die beunruhigende Nachricht gekommen, daß eine Streitmacht von über zweitausend Aufständischen aus Deelguy, deren Anführer offenbar die Unmöglichkeit einer Überquerung der Berge über den stark bewachten Gelter Paß erkannt hatte, am Nordufer des Telthearnas marschiert und in Terekenalt eingedrungen war (dessen König, vermutlich aufgrund reichlicher Bestechung, nichts getan hatte, um sie aufzuhalten) und dann im Eilmarsch durch Katria und Paltesh die aufständische Provinz Belishba erreicht hatte; dort gab es keine lokale Streitmacht, die stark genug gewesen wäre, um den Durchmarsch der Rebellen zu verhindern, ehe sie die Provinz wieder verlassen hatten. Über diesen Rückschlag hatten die ortelganischen Anführer den Kopf geschüttelt, da sie darin den langen und tüchtigen Arm Santil-ke-Erketlis’ am Werk sahen und darüber nachdachten, wie er wohl diese geschickt erworbene Verstärkung verwenden würde.
Auf den mit Handel, Zoll und Steuern zusammenhängenden Gebieten bekam jedoch Kelderek bald den Eindruck, daß seine, wenn auch fehlerhafte und unerfahrene Einsicht im Wesen sicherer war als die der Barone. Vielleicht war es gerade aus dem Grund, weil er nie ein Baron oder ein Söldner gewesen war, der von Mietzinsen oder Kriegsbeute lebte, sondern sich als Jäger mühselig durchgeschlagen hatte und wußte, was es hieß, für die Werkzeuge seines Gewerbes auf Eisen, Leder, Holz und Garn zu vertrauen, daß er klarer als sie die lebenswichtige Bedeutung der Handelswelt erkannte. Er hatte monatelang gegenüber der Gleichgültigkeit Zeldas und Ged-la-Dans die Ansicht vertreten, daß weder das städtische Leben noch der Krieg gegen die Südprovinzen einzig durch Kriegsbeute aufrechterhalten werden könne und daß es unumgänglich sei, die anerkannten Handelswege offenzuhalten und nicht jeden körperlich leistungsfähigen jungen
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