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Shardik

Titel: Shardik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Adams
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ein fettiges Stück Abfall festnagelte, das mit einem üblen Geruch zu schmelzen begann. Der Baron bückte sich schnell, hob das Messer auf und zertrat das Stück. Dann sagte er ruhig:
    »Heute nacht noch nach Quiso? Was soll das bedeuten? Gott helfe uns! Bist du sicher?«
    »Ja, Herr. Wollt Ihr selbst mit den Mädchen sprechen, die die Botschaft brachten?«
    »Ja – nein, lassen wir das. Sie würde keine Botschaft schicken, es sei denn –. Sag Ankray und Faron, sie sollen ein Kanu bereitmachen. Und sorge dafür, daß dieser Mann an Bord gebracht wird.«
    »Dieser Mann, Herr?«
    »An Bord bringen!«
    Wieder raschelte der Perlenvorhang, als der Großbaron hindurchschritt, das Sindrad durchquerte und draußen unter die Bäume trat. Zelda eilte ins Dienerquartier und konnte im Licht des Mondviertels sehen, wie die konische Form im schweren Pelzumhang ungeduldig am Ufer auf und ab schritt.
     

5. Nachts nach Quiso
     
    Kelderek kniete am Bug, bald lugte er in das fleckige Dunkel vor sich, bald schloß er die Augen und ließ in einem neuen Anfall von Furcht das Kinn an seine Brust sinken. Hinter ihm saß schweigend der riesige Ankray, Bel-ka-Trazets Diener und Leibwächter, während das Kanu längs dem Südufer des Telthearnas stromabwärts trieb. Dann und wann senkte Ankray sein Paddel, um die Fahrt zu verlangsamen oder die Richtung zu ändern, und bei dem Geräusch schrak Kelderek zusammen, als könnte der laute Ruderschlag im Dunkel lauernde Feinde auf sie aufmerksam machen. Bel-ka-Trazet hatte, seit er Befehl zum Ablegen erteilt hatte, kein Wort gesprochen; er saß zusammengesunken, mit den Händen auf dem Schoß, in dem schmalen Heck.
    Immer wieder schreckten die Wirbel und siedenden Luftblasen bei den Ruderschlägen ein Tier in der Nähe auf, und Kelderek wandte den Kopf in die Richtung schlagender Flügel, aufspritzenden Wassers bei einem Sprung oder krachenden Unterholzes am Ufer. Er biß sich in die Lippe und hielt sich an der Kanuwand fest, bemüht, nicht zu vergessen, daß dies nur Vögel und Tiere waren, die er kannte – daß er bei Tag jedes davon erkennen würde. Aber neben den Fluchtgeräuschen lauschte er dauernd nach einem anderen, schrecklicheren Geräusch und bangte vor einem zweiten Erscheinen jenes Tieres, für das, wie er glaubte, die Kilometer des Urwalds und Flusses kein Hindernis bedeuteten. Und dann, davon abgelenkt, stand sein Geist bedrückt einer anderen, lebenslangen Furcht gegenüber – der Furcht vor der Insel, zu der sie fuhren. Warum war der Baron dorthin gerufen worden, und was hatte diese Berufung mit der Neuigkeit zu tun, die er selbst zu erzählen sich geweigert hatte?
    Sie waren schon eine lange Strecke unter den Bäumen gefahren, die über das Wasser hingen, als die Diener offensichtlich irgendeine Landmarke ausmachten. Das linke Paddel wurde wieder eingesetzt, das Kanu drehte bei und wandte sich der Flußmitte zu. Stromaufwärts waren einige schwache Lichter auf Ortelga gerade noch sichtbar, während rechts, weit draußen im Dunkel, nun hoch oben noch ein Licht auftauchte, ein flackerndes rotes Glühen, das verschwand und wieder erschien, als sie weiterfuhren. Die Diener mühten sich, das Kanu quer über den Strom zu rudern, der sie nun, so weit vom Ufer entfernt, stärker stromabwärts trieb. Kelderek merkte, wie die Leute hinter ihm immer unruhiger wurden. Der Rhythmus der Paddler wurde kurz und unregelmäßig. Der Bug stieß an etwas, das im Dunkel schwamm, und bei dem Ruck stöhnte Bel-ka-Trazet wie gequält auf. »Herr…« sagte Ankray. »Still!« befahl Bel-ka-Trazet sofort.
    Wie Kinder in einem dunklen Raum, wie Wanderer, die nachts über einen Friedhof gehen, erfüllten die vier Männer das sie umgebende Dunkel mit der Furcht ihrer Herzen. Sie näherten sich der Insel Quiso, dem Reich der Tuginda und des Kultes, über den sie herrschte, einem Ort, wo Menschen keine Namen behielten – so meinte man wenigstens –, wo Waffen keine Wirkung hatten und wo die größte Kraft sich vergeblich gegen eine unbegreifliche Macht erschöpfen konnte. Jeder empfand zunehmend ein Gefühl von Einsamkeit und Schuldlosigkeit. Kelderek schien es, als läge er hilflos auf dem schwarzen Wasser, wie die durchsichtige Gylonfliege, von deren Myriaden die Flußoberfläche in jedem Frühjahr wimmelte, regungslos wie ein gefällter Baum im Wald, wie ein Stamm auf dem Holzplatz. Rundum in der Nacht standen die übelwollenden, unsichtbaren Waldbewohner, mit Axt und Feuer bewaffnete Zerstörer. Nun

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