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Shardik

Titel: Shardik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Adams
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einer Säule gestützt, ein aus Stein gehauener Ziergiebel, und es schien Kelderek, als starre ihn der schwarze Raum dazwischen rätselhaft an, wie das unsichtbare Antlitz der Frau mit der Kapuze am Ufer. Verwirrt wandte er den Blick ab, fühlte sich aber noch immer beobachtet, wie ein Gefangener in einem menschenerfüllten Gerichtshof; und als er nochmals hinsah, erblickte er wieder nur die flammenerleuchtete Terrasse und die Öffnung dahinter.
    Er starrte nach unten in die Schlucht. Rechts von ihm, in dem flackernden Dunkel kaum sichtbar, konnte er den Wasserfall ausmachen, dessen Wasser nicht frei, sondern steil über Felsen hinabstürzte, bis es in dem tiefen darunterliegenden Spalt verschwand. Davor lag, nahe am herabstürzenden Wasser und vom Sprühwasser feucht glänzend, ein gefällter Baumstamm, nicht dicker als der Oberschenkel eines Mannes, und überbrückte die Schlucht von einem Abhang zum anderen. Die Oberseite war grob planiert worden, hatte aber kein Geländer, und darauf überquerten nun die zwei Frauen ebenso leicht, wie sie am Ufer gegangen waren, die Schlucht. Der biegsame Stamm wippte unter ihrem Gewicht, und die Laterne hüpfte auf der Stange, dennoch wanderten die beiden graziös, ohne Eile, darüber hin, wie Dorfmädchen, die abends ihre Krüge vom Brunnen bringen.
    Langsam stieg Kelderek von dem Felsvorsprung nach unten. Beim diesseitigen Brückenende angelangt, begann er, ängstlich einen Fuß vor den anderen zu setzen. Der Wasserfall neben seinem Ellbogen besprengte ihn mit seinem kalten Strahl; das unsichtbare Wasser sandte von unten sein Echo zu ihm herauf. Nach wenigen Schritten kauerte er sich auf die Knie und tastete sich mit einer Hand an dem schaukelnden Baumstamm entlang. Er wagte nicht, den Blick zu heben und vor sich zu schauen. Er starrte auf seine Hand nieder; außer ihr konnte er nichts sehen als die Holzmaserung mit ihren Astknoten, die einer nach dem anderen in sein Gesichtsfeld kamen und wieder verschwanden, sobald er weiterkroch. Zweimal hielt er keuchend an und bohrte seine Nägel in die runde Unterseite, als der Stamm auf und nieder wippte.
    Als er schließlich das andere Ende erreichte, tastete er sich blindlings längs des Bodens auf Händen und Knien weiter, bis er zufällig eine Handvoll kriechender Locatalanga erwischte und zerdrückte, durch deren scharfen Geruch er zu sich kam und erkannte, daß er nicht mehr krampfhaft über dem Wasser hin und her schwankte. Er erhob sich. Vor ihm überquerten die Frauen, wie zuvor hintereinander, die Mitte der Terrasse. Er beobachtete sie und sah, wie sie zu dem Rand des unter der Asche glimmenden Gluthaufens kamen. Sie traten hinein, ohne erst stehenzubleiben, und hoben den Saum ihrer Röcke genau so, als wateten sie durch eine Furt. Als die letzte ihren Rocksaum hochhob, sah er für einen Augenblick ihre nackten Füße. Asche und Funken stiegen in feinem Staub empor, wie Spreu rund um die Füße eines Müllers. Dann gingen sie weiter und ließen hinter sich eine freigelegte dunkelrote Spur quer durch den Kreis des erlöschenden Feuers.
    Kelderek sank stöhnend zu Boden und vergrub das Gesicht in seiner Armbeuge.
    So also kam er zu dem Oberen Tempel auf Quiso, der Terrasseninsel – der Überbringer der Botschaft, die Generationen erwartet, aber nie gehört hatten: verwundet, durchnäßt, am Boden kriechend, halb verrückt vor Erregung, seine Augen gegenüber dem verschließend, was vor ihnen lag, und nur entschlossen – ein seltsamer Entschluß – zur Aufgabe jeglicher Willenskraft, welche die Insel ihm noch gelassen hatte. Als schließlich der Großbaron und seine Diener zum Rand der Schlucht kamen und nun ihrerseits wie Krüppel über den wippenden Stamm wankten, fanden sie ihn ausgestreckt am Rand der Terrasse liegen, kichernd und keuchend, und es klang gräßlicher als das Lachen von Taubstummen.
     

6. Die Priesterin
     
    Als Kelderek sich beruhigt hatte und dort, wo er lag, eingeschlafen zu sein schien, tauchte ein Licht in der Öffnung der Felswand auf. Es wurde heller, und zwei junge Frauen kamen heraus, von denen jede eine brennende Fackel trug. Es waren kräftige, derb aussehende Mädchen, barfuß, mit groben Überkleidern; aber auch die Frau eines Barons hätte nicht die Hälfte des Schmucks der Mädchen tragen können. Ihre langen Ohrringe, die beim Gehen baumelten und klirrten, bestanden aus einzelnen geschnitzten Knochenstücken, die zu Gehängen verbunden waren. Ihre dreifachen Halsbänder aus alternierenden

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