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Shardik

Titel: Shardik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Adams
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der Krieg dauerte. Aber dieser Genshed, wer immer er sein mochte, sollte den Sohn und Erben des Statthalters von Sarkid geraubt haben? Zweifellos beabsichtigte er, ein Lösegeld zu fordern, falls er ihn wohlbehalten nach Terekenalt brachte. Welcher denkbare Grund aber hatte Elleroth, wenn er solchen Kummer im Herzen trug und dem verhaßten Priesterkönig von Bekla die Schuld für ein solches Unrecht geben konnte, dazu veranlaßt, darauf zu bestehen, daß dessen Leben geschont würde? Eine Weile dachte er über dieses Rätsel nach, konnte aber keine Antwort finden. Seine Gedanken kehrten zurück zu Shardik, doch schließlich ließ er das Denken ganz sein, döste im Sitzen und hörte trotz des Lärms der Menge das Fallen von Wassertropfen in ein vor dem Fenster stehendes Faß.
    Der Gardekommandant kam mit einem untersetzten, schwarzbärtigen Offizier in Rüstung und mit Helm zurück, der Kelderek anstarrte und mit nervöser Ungeduld seine Schwertscheide an sein Bein schlug.
    »Ist das der Mann?«
    Der Gardekommandant nickte.
    »Dann komm, du, in Gottes Namen, solange wir noch halbwegs die Kontrolle haben. Vielleicht liegt dir nichts daran, aber ich will am Leben bleiben. Nimm diesen Packen – Schuhe und für zwei Tage Proviant, so lautet der Befehl des Statthalters. Die Schuhe kannst du später anziehen.«
    Kelderek folgte ihm durch den Gang und über den Hof zum Pförtnerhaus. Unter dem Torbogen waren hinter dem geschlossenen Tor zwei Reihen Soldaten aufgestellt. Der Offizier führte Kelderek in die Mitte zwischen sie, trat unmittelbar hinter ihn, faßte ihn an der Schulter und sagte ihm ins Ohr:
    »Nun tust du, was ich dir sage, verstehst du, sonst bleibt dir keine Zeit für Reue. Du wirst durch diese verdammte Stadt zum Osttor gehen, denn wenn nicht, gehe ich auch nicht, und deshalb wirst du gehen. Jetzt sind sie ruhig, weil man ihnen gesagt hat, daß es der persönliche Wunsch des Statthalters ist, aber wenn sie durch irgend etwas provoziert werden, sind wir so gut wie tot. Sie mögen keine Sklavenhändler und Kindermörder, verstehst du? Sprich kein Wort, wink nicht mit deinen verdammten Armen, tu gar nichts; und vor allem, bleib nicht stehen, verstehst du? In Ordnung!« rief er dem Treisatt vorne zu. »Vorwärts marsch, und Gott steh uns bei!«
    Das Tor wurde geöffnet, die Soldaten marschierten los, und Kelderek trat unmittelbar in das blendende Sonnenlicht, das ihm direkt in die Augen schien. Geblendet stolperte er, und schon lag die Hand des Hauptmanns unter seiner Achsel und stieß ihn vorwärts.
    »Wenn du stehenbleibst, durchbohre ich dich.«
    Vor Keldereks Augen schwebten farbige Schleier, die sich langsam auflösten und verschwanden, so daß er die Straße zu seinen Füßen sah. Er merkte, daß er gebückt, mit vorgeneigtem Kopf ging und zu Boden blickte, wie ein Bettler an einem Stock. Er streckte die Schultern, warf den Kopf zurück und sah sich um.
    Der unerwartete Schock war so groß, daß er stehenblieb und wie zur Abwehr eines Schlags eine Hand ans Gesicht hob.
    »Geh weiter, verdammt noch mal!«
    Der Platz war voller Menschen – Männer, Frauen und Kinder, die zu beiden Seiten der Straße standen, sich an den Fenstern drängten, an den Dächern festklammerten. Keiner sprach ein Wort, kein Murmeln war zu hören. Alle starrten ihn schweigend an, jedes Augenpaar folgte nur ihm, als die Soldaten quer über den Platz marschierten. Manche Männer blickten ihm zornig nach und schüttelten die Fäuste, doch keiner sagte ein Wort. Ein junges, wie eine Witwe gekleidetes Mädchen stand mit gefalteten Händen und tränenüberströmten Wangen dort, während neben ihr eine alte Frau zitternd den Hals vorstreckte; ihr eingefallener Mund zuckte krampfhaft. Seine Augen begegneten eine Sekunde lang den feierlich starrenden, aufgerissenen Augen eines kleinen Knaben. Die Menschen wogten wie Gras, ohne das Wogen zu bemerken, das ihre Köpfe verursachten, da sie den Blick nicht von ihm wandten. Es herrschte so völlige Stille, daß er einen Moment lang den Eindruck hatte, diese Leute wären weit entfernt, zu weit, um sie auf dem einsamen Platz zu hören, wo er zwischen den Soldaten ging; das einzige Geräusch in seinen Ohren war ihr regelmäßiger Tritt, der auf dem Sand knirschte.
    Sie verließen den Platz und kamen in eine schmale, gepflasterte Straße, wo ihre Schritte zwischen den Mauern hallten. Er versuchte mit seiner ganzen Willenskraft, nur vor sich zu blicken, dennoch empfand er die Stille und das Starren des

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