Shardik
du mich eingefangen hast und wieviel du daran zu verdienen hoffst? Ich kann dir eine große Summe für meine Freilassung versprechen – mehr, als du bekämst, wenn du mich als Sklaven verkaufst.«
Genshed blickte nicht hoch und antwortete nicht. Kelderek beugte sich über das rotblonde Haar des Sklavenhändlers und sprach eindringlicher.
»Du kannst mir glauben. Ich biete dir mehr, als du auf irgendeine andere Weise für mich bekommen kannst. Ich bin nicht, wer ich zu sein scheine. Sage mir, wieviel du haben willst, um mich freizulassen.«
Genshed schloß seinen Tornister, erhob sich langsam und wischte seine schwitzenden Hände an den Schenkeln ab. Einige der Kinder blickten auf und warteten ängstlich auf das Schnipsen seiner Finger. Er sah Kelderek nicht an, und der hatte den seltsamen Eindruck, der andere habe ihn gehört und doch auch wieder nicht, wie jemand ein Hundebellen überhören kann, der in Gedanken über seine eigenen Angelegenheiten versunken ist.
»Du kannst mir glauben«, wiederholte Kelderek beharrlich. »In Ortelga, wo du doch wohl vorbeikommen willst, kann ich – «
Plötzlich schoß Gensheds Hand mit der Schnelligkeit eines Fisches, der sein Opfer packt, nach oben und faßte Keldereks durchbohrtes Ohrläppchen zwischen Daumen und Zeigefinger. Als sein Daumennagel sich in die Wunde bohrte, schrie Kelderek auf und versuchte, Gensheds Handgelenk zu fassen. Bevor ihm das gelang, stieß ihm der Sklavenhändler das Knie in die Leistengegend, zugleich ließ er das Ohr los, so daß sich Kelderek zusammenkrümmte und zu Boden fiel. Dann bückte er sich, ergriff seinen Tornister, steckte die Arme durch die Schulterriemen und hob ihn auf den Rücken.
Einige Kinder zitterten unsicher. Ein Knabe warf einen Stock auf Kelderek. Genshed schnipste, immer noch mit zerstreuter Miene, mit den Fingern, und als die Kinder einander auf die Beine halfen, ging er an die Spitze des Zuges und nickte dem ersten Knaben zu, er solle sich an seinem Gürtel festhalten.
Kelderek schlug die Augen auf und sah Shara, die auf ihn hinunterblickte.
»Er hat dir weh getan, nicht wahr?« sagte sie in ihrem Yeldashay-Dialekt.
Er nickte und erhob sich schwerfällig.
»Er tut uns allen weh«, sagte sie. »Eines Tages wird er fortgehen. Radu hat es mir gesagt.«
Schmerz und Hunger umnebelten seine Sinne wie aufgewühlter Schlamm in einem Teich.
»Radu hat es mir gesagt«, wiederholte sie. »Sieh mal, da ist ein roter Stein, und ich hab noch einen blauen, so einen blauen. Bist du hungrig? Du kannst doch Raupen finden, nicht wahr? Radu findet Raupen.«
Schreihals kam heran, faßte Keldereks Hand und legte sie auf Radus Schulter, der vor ihm ging.
Nach einer Stunde waren sie wieder am Ufer und machten halt für die Nacht. Kelderek hatte keine genaue Vorstellung davon, welche Strecke sie im Laufe des Tages zurückgelegt hatten. Höchstens sechzehn Kilometer, nahm er an. Morgen wollte Genshed den Durchlaß bei Linsho überqueren. Würde es dort Proviant geben, und würden sie sich ausruhen können? Genshed mußte doch sehen, daß sie Ruhe brauchten. Der Hunger verwischte seine Gedanken, wie Regen die Sicht auf eine Ebene trübt; sie glitten vorbei wie nasse Finger, sie konnten nichts erfassen. Würde es in Linsho etwas zu essen geben? Würde das Dahinschleppen, das Bücken, um die Kette freizumachen, eine Weile aufhören? Vielleicht würde Genshed ihn in Linsho nicht wieder verletzen, und der Schmerz in seinem Finger würde nachlassen. Das waren erhoffenswerte Dinge – aber er mußte versuchen, darüber hinauszublicken – überlegen – er mußte überlegen, was am besten zu tun wäre –
»Woran denkst du?« fragte Radu.
Kelderek versuchte zu lachen und schlug sich auf den Kopf.
»In meiner Heimat pflegte man zu sagen: ›Du kannst auf Holz klopfen, aber werden die Insekten herauskommen?‹«
»Wo war das?«
Er zögerte. »In Ortelga. Aber das spielt jetzt keine Rolle.«
Nach einer Pause sagte Radu: »Wenn du jemals wieder dorthin kommst – «
»Den ganzen Weg, unterirdisch«, sagte Kelderek.
»Weißt du, was wir meinen, wenn wir das sagen?«
Shara kam am Ufer zu ihnen gelaufen. Sie faßte Radus Hand und schnatterte schneller, als Kelderek verstehen konnte, und wies in die Richtung, aus der sie gekommen war. Unweit von ihnen hing ein dichtes Gewirr von Schlingpflanzen, bedeckt mit grellgefärbten, trompetenförmigen Blüten, wie ein Vorhang zwischen dem Strand und dem Wald. Sie blickten in die von Shara gewiesene
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