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Shardik

Titel: Shardik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Adams
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sagte sie. »Ich werde ihm sagen – aber es ist schon lange her – «
    »Du kannst es mir sagen«, sprach er. »Ich bin der Statthalter von Bekla, und all dieses Elend ist mein Werk, alles.«
    »Ah«, sagte sie. »Ah, Herr, sei gesegnet. Sei gesegnet. Sieh doch, Herr, ja, dann wirst du sie sehen wollen.«
    Sie legte ihre Last auf den Boden. Die Hüllen waren mit der Kette aus seinem Ohr am Kopf befestigt, aber sie wickelte sie los, rollte sie zusammen und schob die Hülle vom Gesicht.
    Die Augen waren geschlossen, die Wangen glanzlos und wächsern; aber das tote Kind auf den Steinen war Melathys. Ihre Lippen waren ein wenig geöffnet, doch das Blatt, das ihr die Alte vor den Mund hielt, blieb unbewegt. Weinend blickte er hoch und sah unter der zerrissenen Kapuze, daß es Rantzay war.
    »Sie ist nicht tot, Rantzay!« schrie er. »Weck sie auf, Rantzay, du mußt sie aufwecken!«
    Rantzay antwortete nicht, und als ihre mageren Finger seine Schulter faßten und schüttelten, begriff er, daß auch sie tot war. Er riß sich von ihr los, übermannt von einem schrecklichen Gefühl des Verlustes und der Verzweiflung.
    »Wach auf! Komm, wach auf!«
    Es war Schreihals’ Gesicht über dem seinen, er flüsterte drängend, sein übler Atem stank, Insektenbisse juckten, Steine stachen unter seinem Rückgrat, und jenseits des Telthearnas stahl sich das erste Tageslicht in den Himmel. Kinder wimmerten im Schlaf, Ketten klirrten an Steinen.
    »Ich bin es, du Scheißtrottel. Mach keinen Lärm! Ich habe dir die Kette aus dem Ohr gezogen. Wenn du nicht nach Terekenalt willst, dann vorwärts, in Gottes Namen!«
    Kelderek erhob sich. Seine Haut war eine einzige Fläche aus juckenden Bissen, und der Fluß schwamm vor seinen Augen. Noch halb im Traum, blickte er suchend nach der Toten im seichten Wasser, aber sie war fort. Er machte einen Schritt voran, glitt aus und fiel auf die Steine. Jemand anders, nicht Rantzay und auch nicht Schreihals, sagte:
    »Was hattest du vor, Schreihals, ha?«
    »Nichts«, antwortete Schreihals.
    »Hast die Kette rausgezogen, oder? Wohin wolltest du?«
    »Er wollte scheißen, nicht? Meinst du, ich soll mich von ihm anmachen lassen?«
    Genshed gab keine Antwort, sondern zog sein Messer und fing an, die Spitze gegen einen Finger nach dem anderen zu drücken. Nach einer Weile öffnete er seine Kleidung und urinierte auf Schreihals; der Junge stand währenddessen stockstill.
    »Du erinnerst dich doch an Kevenant?« murmelte Genshed.
    »Kevenant?« sagte Schreihals mit vor beginnender Hysterie umschlagender Stimme. »Was hat Kevenant damit zu schaffen? Wer redet von Kevenant?«
    »Erinnerst du dich, wie er aussah, als wir mit ihm fertig waren?«
    Schreihals antwortete nicht, doch als Genshed sein Ohrläppchen zwischen Daumen und Zeigefinger nahm, begann er unbändig zu zittern.
    »Sieh mal, du bist bloß ein blödes Bürschchen, Schreihals, nicht wahr?« sagte Genshed und drehte langsam das Ohr, so daß Schreihals auf die Steine in die Knie sank. »Bloß ein blödes Bürschchen, nicht wahr?«
    »Ja«, flüsterte Schreihals.
    Die Messerspitze strich über sein geschlossenes Augenlid, und er versuchte, den Kopf zurückzuziehen, aber er wurde durch das Drehen seines Ohres daran gehindert.
    »Du siehst gut, nicht wahr, Schreihals?«
    »Ja.«
    »Bist du sicher, daß du gut siehst?«
    »Ja! Ja!«
    »Verstehst du, was ich meine, ja?«
    »Ja!«
    »Aber ich komme überallhin, nicht wahr, Schreihals? Wenn du dort drüben wärst, wäre ich auch dort, oder?«
    »Ja.«
    »Deine Arbeit gut machen, Schreihals, kannst du das?«
    »Ja, ich kann! Ja, ich kann!«
    »Komisch, ich dachte, vielleicht kannst du es nicht. Wie Kevenant.«
    »Doch, ich kann es! Ich behandle sie schlimmer als Bled. Sie haben alle Angst vor mir!«
    »Halt still, Schreihals! Ich werde dir einen Gefallen erweisen. Ich werde nur mit der Messerspitze den Schmutz unter deinen Nägeln entfernen. Ich möchte aber nicht, daß mir die Hand ausrutscht.«
    Der Schweiß strömte über Schreihals’ Gesicht, über seine Oberlippe, über seine zwischen die zusammengebissenen Zähne eingezogene Unterlippe, über sein besabbertes Kinn. Als Genshed endlich von ihm abließ und fortging, indem er das Messer in die Scheide an seinem Gürtel schob, warf sich Schreihals ins seichte Wasser, stand aber gleich wieder auf. Schweigend wusch er sich, zog die Kette wieder durch Keldereks Ohr, befestigte sie an seinem Gürtel und legte sich nieder.
    Eine halbe Stunde später verteilte

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