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Shardik

Titel: Shardik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Adams
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uns war.«
    »Was geschah mit ihr?«
    »Ging nach Schlag-auf-Lee.«
    »Schlag-auf-Lee? Wo hegt das?«
    »Weiß nicht.«
    »Woher weißt du dann, daß sie hinging?«
    Der Knabe sagte nichts.
    »Was ist Schlag-auf-Lee? Wer hat dir davon erzählt?«
    »Dorthin gehen sie, verstehst du?« flüsterte der Knabe. »Wenn einer fortgeht, sagen wir, er ist nach Schlag-auf-Lee gegangen.«
    »Ist es weit von hier?«
    »Weiß nicht.«
    »Nun, wenn es mir gelänge fortzulaufen und er würde mich morgen zurückbringen, wäre ich dann in Schlag-auf-Lee gewesen?«
    »Nein.«
    »Warum nicht?«
    »Weil man von Schlag-auf-Lee nicht zurückkommt.«
    »Du meinst, Sirit ist tot?«
    »Weiß nicht.«
    Sie verstummten. Ein Mann mag gezwungen sein, in die bittere Kälte hinauszugehen, und sich dabei bewußt sein, daß die Zukunft aussichtslos und seine Überlebenschance gering ist. Doch diese bloße Überlegung in dem Augenblick wird allein nicht genügen, um seinen Mut zu brechen oder sein Herz in Verzweiflung zu stürzen. Es ist, als trüge er noch um den Kern seines Mutes eine letzte Schicht aus schützendem Vertrauen und Wärme, die erst allmählich, Stunde um Stunde, vielleicht Tag um Tag, durch Einsamkeit und Kälte durchdrungen und zerstört werden muß, bis die letzten Reste zerstreut sind und er die schreckliche Wahrheit, die er anfänglich nur verstandesmäßig erfaßte, in seinem Körper fühlt und in seinem Herzen fürchtet. So erging es Kelderek. Nun, des Nachts, da ihn die scharfen, häßlichen Elendslaute überall umgaben und der Schmerz wie Küchenschaben in einem dunklen Haus über seinen Körper kroch, schien er hinabzusteigen, seine Lage aus einer noch tieferen Ebene zu überschauen, ihre jeder wirklichen Hoffnung bare Natur tiefer zu spüren und deutlicher zu erfassen. Nun wurde ihm klar, was vor ihm lag – der Durchgang bei Linsho und die lange Reise stromaufwärts auf dem Telthearna, vorbei an Quiso und Ortelga, nach Terekenalt; und dann die Sklaverei, vorher vielleicht noch die abscheuliche Verstümmelung, von der Schreihals gesprochen hatte. Am allerschlimmsten war der Verlust Melathys’ und der Gedanke, daß sie beide nie erfahren würden, was dem anderen zugestoßen war.
    In diese Lage hatte ihn Shardik gebracht – Shardik, der ihn mit übernatürlicher Feindseligkeit verfolgte, der rächte, was sein Priesterkönig an Mißbrauch und Ausbeutung an ihm verschuldet hatte. Mit Recht wurde er von Shardik verflucht und hatte nicht nur Melathys, sondern auch die Tuginda selbst bei seiner Bestrafung mitgerissen – sie, die ihr möglichstes angesichts jedes Hindernisses, das ihr in den Weg gelegt wurde, getan hatte, um Shardik vor Verrat zu schützen. Mit diesem bitteren Gedanken schlief er wieder ein.
     

50. Radu
     
    Als er erwachte, ging die Sonne auf, und als er sich bewegte, schlängelte sich ein dunkelroter, gekrümmter Tausendfüßler, so lang wie seine Hand, unter ihm hervor. Schreihals zog die Ketten heraus und rollte sie in seinen Sack. Der Wald hallte von Vogelrufen wider. Schon dampfte der Boden, wo die Sonnenstrahlen auftrafen, und überall summten Fliegen über Flecken von nächtlichem Kot und Urin. Unweit hustete ein Knabe unaufhörlich, und rundum erhoben die Kinder ihre dünnen Stimmen und riefen gemeine Worte und Flüche. Zwei Knaben stritten wegen eines Lederstücks, das der eine dem anderen gestohlen hatte, bis Bleds Stock die Fluchenden auf die Beine trieb.
    Schreihals verteilte Trockenobst und sah zu, während es verzehrt wurde, mit dem Stock schlagbereit gegen jedes Mausen oder Balgen. Er zwinkerte Kelderek zu und gab ihm heimlich eine zweite Handvoll Obst.
    »Sieh zu, daß du es selbst ißt«, flüsterte er, »und beeil dich!«
    »Ist das alles bis heute abend?« fragte Kelderek erschrocken bei dem Gedanken an den Tagesmarsch.
    »Es ist so ziemlich alles, was noch übrig ist«, sagte Schreihals, immer noch leise. »Er sagt, wir können nichts mehr bekommen, bis wir in Linsho sind, und das soll morgen abend sein. Mir scheint, er wußte selbst nicht, was das hier für eine Gegend ist. Wir werden Glück haben, wenn wir lebend davonkommen.«
    Kelderek warf rasch einen Blick nach rechts und links und flüsterte: »Ich könnte dich lebend hinausbringen.«
    Ohne auf eine Antwort zu warten, stapfte er zu der Stelle, wo Radu aus seiner eigenen Ration Shara fütterte.
    »Das kannst du dir nicht leisten«, sagte er. »Wenn du dich um sie kümmern willst, mußt du deine eigene Kraft erhalten.«
    »Das hab ich

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