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Shardik

Titel: Shardik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Adams
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schützen. So gehe ich über den Vrako. Ich denk mir: ›Ich bleibe dort, bis es vorbei ist, ich und meine Knaben, die ich gekauft habe.‹ Also bleiben wir in einem gräßlichen Dorf. Ich muß immerfort zahlen und zahlen, nur um nicht ermordet zu werden. Eines Tages höre ich, die Soldaten aus Ikat kommen über den Vrako und suchen überall nach Sklavenhändlern. Ich gehe nach Norden – ach, eine entsetzliche Reise –, denke mir, bei Linsho erkauf ich mir den Übergang. Aber ich geh nicht durch den Wald, sondern komme direkt über die Straße, und da stoße ich geradeaus auf die Soldaten! Wie soll ich wissen, daß die Ikats früher dort waren? Dreckige Diebe – nehmen mir meine Jungs ab, für die ich so viel bezahlt habe. Ich lasse alles liegen und laufe in den Wald. Dann trifft mich ein Pfeil in den Schenkel, mein Gott, das schmerzt! Sie suchen mich, nicht lange. Nein, nein, die brauchen nicht zu suchen, schlaue Schweinehunde.« Er spuckte aus. »Die wissen, hier gibt es nichts zu essen, kein Obdach, keinen Weg irgendwohin. O mein Gott, Gensh, was sollen wir jetzt tun? Wenn du durch die Bäume hinausgehst, haben sie dich – sie warten auf uns. Man sagte mir, sie haben Nigon erschlagen, Mindulla erschlagen – «
    »Nigon ist tot«, sagte Genshed.
    »Ja, ja. Du hilfst mir hinaus, Genshed? Wir gehen über den Telthearna, nach Deelguy! Du weißt doch noch, wie viele Kinder ich dir immer abgekauft habe, Genshed, und ich sag nicht, wo-«
    Plötzlich stieß Schreihals einen Pfiff aus und zupfte Genshed am Ärmel. »Sieh mal, dort, die Schweine!« sagte er, mit dem Daumen hinunterweisend.
    Kaum einen Kilometer entfernt kamen zwanzig oder dreißig Soldaten über den sonnigen Hang, wo das Wächterhaus stand, auf den Wald zu, ihre Speere hinter sich im Gras herziehend. Auf ein Signal ihres Offiziers schwärmten sie, als sie sich dem Waldrand näherten, nach rechts und links aus.
    Es fiel keinem der Kinder und auch nicht Radu oder Kelderek ein, daß sie doch jetzt rufen oder sich den Soldaten bemerkbar machen könnten. Hatte Genshed ihnen nicht vor kurzem gezeigt, daß sie es nicht konnten?
    Seine Herrschaft – jene böse Macht, von der Radu gesprochen hatte – lag über allen wie Frost, unangreifbar, nur in ihrer Wirkung erkennbar, und durchdrang ihre Seelen mit ihrer stummen, betäubenden und bezwingenden Kraft. Sie lag in ihnen – in ihren verhungerten Körpern, in ihren Herzen, in ihren erstarrten Seelen. Nicht einmal Gott vermochte diese Starre zu lösen oder auch nur den geringsten Teil von Gensheds Willen zunichte zu machen. Kelderek wartete, bis Bled anderswohin blickte und sein langsames, unbeholfenes Sichmühen nicht sah, nahm Shara wieder in seine Arme, faßte Radu, der sich nicht sträubte, an der Hand und folgte dem Sklavenhändler zurück in den Wald.
    Sie gingen über die Erhebungen, an dem Kamm der niedrigen Hügelkette entlang, die sie am frühen Nachmittag erstiegen hatten. Lalloc humpelte neben Genshed und flehte dauernd, man solle ihn nicht zurücklassen. Während er flüsternd und in durch Kurzatmigkeit unterbrochenen Sätzen plapperte, antwortete Genshed kein Wort. Obwohl es aber den Kindern ebenso wie dem dicken Lieferanten netter Knaben schien, als gäbe er nicht acht, hatte Kelderek den Eindruck, daß Genshed dennoch höchst wachsam blieb; er war wie ein großer Fisch, der unter einem Riff lauert und zugleich nach der geringsten Chance Ausschau hält, um zwischen den Beinen der watenden Netzfischer hindurchzuschießen – da wartet er regungslos in der Hoffnung, sie durch seine Unbeweglichkeit glauben zu machen, er sei schon wieder fort.
     

52. Das zerstörte Dorf
     
    Und nun begann unter den Kindern die endgültige Auflösung, die nur die Angst vor Genshed so lange hinausgezögert hatte. Trotz des Nebels aus Unwissenheit und Furcht, der sie umgab, war allen eines klar: Gensheds Pläne waren gescheitert; er wie seine Aufseher hatten Angst und wußten nicht, was sie als nächstes tun sollten. Bled ging allein, gebückt und murmelnd, mit auf den Boden geheftetem Blick. Schreihals kaute dauernd an seiner Hand, dann und wann ließ er den Kopf mit offenem Mund und geschlossenen Augen vorwärts sinken wie ein Ochse, der seine Last nicht mehr tragen kann. Von allen dreien stieg Verzweiflung auf wie Fledermäuse, die bei sinkendem Tageslicht in immer dichteren Scharen aus einem Keller geflattert kommen. Die Kinder begannen, sich zu zerstreuen. Manche blieben liegen, wo sie zu Boden gefallen waren

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