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Shardik

Titel: Shardik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Adams
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–, gehütet von einem kleinen Jungen, der auf einer Holzpfeife blies; und ein alter Ochse rupfte das grünste Gras ab, das er bei straff gezogenem Halteseil erreichen konnte.
    Aber Genshed starrte nicht auf das goldene Licht, auf das Vieh oder das flötende Kind, sein schlaffes Teufelsgesicht trug die Spur eines schmerzlichen Verlusts. Neben dem Weg war ein Grundstück mit Holzpalisaden eingezäunt worden, und in einem seichten Graben brannte ein Feuer. Davor hockte ein Soldat mit Lederhelm und säuberte Töpfe, ein anderer spaltete Holz mit einem gekrümmten Messer. Neben dem Zaun war ein hoher Pfahl errichtet worden, an dem eine Fahne hing – drei Getreidegarben auf blauem Grund. Daneben waren noch zwei dem Wald zugekehrte Soldaten zu erkennen; einer saß auf dem Rasen und verzehrte sein Abendessen, der andere stand an einen langen Speer gelehnt. Die Situation war klar. Der Durchlaß war von einer Abteilung aus Sarkid von der Armee Santil-ke-Erketlis’ besetzt worden.
    »Verdammt noch mal!« flüsterte Genshed und starrte auf die friedliche, flammenhelle Stille des Hügellandes. Schreihals kam von hinten heran, hielt den Atem an und starrte gebannt hin wie ein Mann auf die brennenden Trümmer seines Hauses. Die Kinder schwiegen, manche verständnislos in ihrer Schwäche und Erschöpfung, andere fühlten Gensheds Zorn und Verzweiflung, da er wortlos seine Fäuste ballte und wieder öffnete.
    Plötzlich stürzte Radu vorwärts, seine Lumpen umflatterten ihn, und er riß beide Arme hoch über den Kopf, wie ein im Anfall zuckendes, schwachsinniges Kind.
    »Ach! Ach!« krächzte er. »Sark-« Er wankte, fiel nieder und erhob sich nacheinander auf beide Knie wie eine Kuh. »Sarkid!« flüsterte er und streckte die Hände aus, dann wiederholte er, nur ein wenig lauter: »Sarkid! Sarkid!«
    Genshed faßte entschlossen den Bogen, der seitlich an seinem Tornister hing, und legte einen Pfeil auf die Saite. Dann lehnte er sich an einen Baum und wartete, während Radu tief atmete. Als der Ruf des Jungen ertönte, war er wie der eines kranken Kindes, verzerrt und schwach. Nochmals rief er, wie ein Vogel, dann sank er schluchzend und händeringend im Unterholz in die Knie. Genshed zog Schreihals an der Schulter zurück, wie ein Mann, der auf einen Freund wartet, bis der das Gespräch mit einem Vorbeigehenden auf der Straße beendet hat.
    »Oh, Gott!« weinte Radu. »Gott, hilf uns doch! O Gott, bitte hilf uns!«
    Shara erwachte halb auf Keldereks Rücken und murmelte: »Schlag-auf-Lee! Nach Schlag-auf-Lee gegangen!« und schlief wieder ein.
    Wie ein zur Richtstatt geführter Mann vielleicht stehenbleibt, um dem Gesang eines Mädchens zu lauschen, wie der Blick eines Menschen, der soeben erfahren hat, daß er todkrank ist, vielleicht aus dem Fenster schweift und einen Augenblick auf einem buntgefiederten Vogel zwischen den Bäumen verweilt, wie ein verwegener Bursche vielleicht auf dem Schaffott ein Glas hinunterstürzt und einen Tanz vollführt – so schien Genshed nicht nur durch seinen Hang, sondern auch aus Selbstachtung dazu verleitet, in diesem für ihn katastrophalen Moment sich eine Weile an der seltenen und außergewöhnlichen Verzweiflung Radus zu weiden. Er blickte sich unter den Kindern um, als wolle er alle herausfordern, die vielleicht versuchen wollten, ob sie noch genug Stimmkraft besäßen, um nach den Soldaten zu rufen. Kelderek, der ihn beobachtete, wurde von tödlichem Entsetzen erfaßt, wie ein Mädchen beim Anblick der zuckenden, blanken Erregung des Frauenschänders. Seine Zähne klapperten, und er spürte, wie sein leerer Darm sich lockerte. Er sank zu Boden, gerade noch genug Herr seiner selbst, um das kleine Mädchen von seinem Rücken zu heben und neben sich auf den Boden zu legen.
    In diesem Augenblick ertönte aus dem Gebüsch nebenan eine heisere Stimme.
    »Gensh! Gensh, hallo, Gensh!«
    Genshed wandte sich jäh um und starrte mit von der Sonne geblendeten Augen in den düsteren Wald hinter sich. Es war nichts zu sehen, doch kurz darauf ertönte die Stimme wieder.
    »Gensh! Geh nicht dort hinunter, Gensh! Um Himmels willen, hilf mir!«
    Aus einer Stelle im Unterholz kräuselte sich eine schwache Rauchfahne empor, sonst aber war alles stiller als der Grashang draußen. Genshed winkte Schreihals mit einer Kopfbewegung, und der Junge ging langsam und widerstrebend, unter Aufbietung seines ganzen Mutes, voran. Er verschwand im Gebüsch, und bald darauf hörte man ihn ausrufen: »Verdammte

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