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Shardik

Titel: Shardik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Adams
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oder sich hingelegt hatten, denn Genshed und seine Einpeitscher, die nun unter der gleichen bösen Verwirrung litten wie ihre Opfer, hatten keine Absicht und keine Lust, sie mit Schlägen auf die Beine zu bringen.
    Es war klar, daß es Genshed nicht mehr kümmerte, ob die Kinder am Leben blieben oder starben. Er scherte sich nicht um sie, sondern beschleunigte nur sein Marschtempo, einzig darum besorgt, die Soldaten hinter sich zu lassen; und wenn einzelne Kinder, die hingefallen waren und sahen, wie er vor ihnen verschwand, mühsam wieder auf die Füße kamen und es irgendwie schafften, ihn wieder einzuholen, hatte er auch keinen Blick für sie übrig. Er bewachte nur Kelderek und Radu dauernd, denen er, mit gezücktem Messer, befahl, vor ihm zu gehen und keinesfalls stehenzubleiben.
    Wie nach dem Kampf zweier Tiere das unterlegene beim Davonschleichen zu schrumpfen scheint, so hatte sich Radu, seit sie vom Waldrand zurückkamen, von einem Jüngling wieder zum Kind zurückgebildet. Die stolze Haltung, mit der er seine Lumpen und Wunden getragen hatte, als wären sie Ehrenmale des Hauses von Sarkid, waren einer erschöpften Trübsal, gleich der eines Überlebenden bei einer Katastrophe, gewichen. Er bewegte sich unsicher dahin und dorthin, anscheinend außerstande, selbst seinen Weg zu finden, und einmal bedeckte er sein Gesicht mit den Händen und überließ sich einem Weinkrampf, der erst endete, als ihm der Atem ausging. Er hob den Kopf und begegnete Keldereks Blick mit dem verzweifelten Ausdruck eines gefangenen Tieres.
    »Ich fürchte mich vor dem Sterben«, flüsterte er.
    Kelderek konnte keine Antwort finden.
    »Ich will nicht sterben«, wiederholte Radu verzweifelt.
    »Weitergehen!« sagte Genshed scharf hinter ihnen.
    »Das waren meines Vaters Soldaten!«
    »Ich weiß«, sagte Kelderek stumpf. »Vielleicht finden sie uns noch.«
    »Nein. Genshed wird uns noch vorher umbringen. O Gott, er macht mir solche Angst! Ich kann es nicht mehr verbergen.«
    »Wenn uns die Soldaten finden, werden sie mich bestimmt töten«, sagte Kelderek. »Ich war deines Vaters Feind, weißt du. Das scheint jetzt seltsam.«
    Erschrocken warf ihm Radu einen schnellen Blick zu, doch im selben Augenblick erwachte Shara endlich, bewegte sich unruhig auf Keldereks Schultern und wimmerte leise vor Elend und Hunger.
    »Mach, daß sie still ist«, sagte Genshed sofort.
    Radu nahm sie mit einigen Schwierigkeiten von Kelderek in Empfang, glitt aber dabei aus, so daß die Kleine einen lauten Angstschrei ausstieß. Genshed war in vier Sprüngen neben Radu, faßte ihn mit einer Hand an der Schulter und brachte die Kleine mit der anderen, die er ihr auf den Mund preßte, zum Schweigen.
    »Noch einmal, und ich mach sie kalt«, sagte er.
    Radu wand sich von ihm los und flüsterte Shara eindringlich zu. Sie wurde still, dann hinkten sie wieder zwischen den Bäumen weiter.
    »Ich werde nicht sterben«, sagte Radu nun entschlossener. »Nicht, solange sie mich braucht. Du weißt ja, ihr Vater ist einer unserer Pächter.«
    »Du hast es mir erzählt.«
    Es war beinahe dunkel und von Verfolgung nichts zu hören. Kelderek hatte keine Ahnung, wie viele Kinder noch bei ihnen waren. Er versuchte, sich umzusehen, konnte aber zuerst nichts erkennen, und dann erinnerte er sich nicht mehr, was er suchte; die durch den Hunger verursachte Schwäche schien sein Seh- und Hörvermögen zerstört zu haben. Sein Verstand war verschwommen, und durch seinen Kopf stach fiebriger Schmerz. Als er vor sich Steinwände erblickte, wußte er nicht, ob sie Wirklichkeit waren oder Einbildungen seines zersplitterten Bewußtseins.
    Schreihals schüttelte ihn am Arm.
    »Stehenbleiben! Bleib stehen, verdammt noch mal! Bist du scheißtaub oder was? Er sagt stehenbleiben! Da«, sagte der Junge mit einem Anflug menschlichen Mitgefühls, »setz dich hin, Kumpel, du mußt dich ausruhen, wirklich. Setz dich hierher.«
    Dann saß er auf einem Steinvorsprung. Rundum, in einer ehemaligen Lichtung, lagen von Schlingpflanzen und Kräutern überwucherte Baumstümpfe. Da standen Mauern aus aufgeschichteten Flußsteinen und Geröll ohne Mörtel, manche waren umgestürzt, andere standen noch; Bauernhöfe und Ställe, alle ohne Türen, mit eingefallenen Dächern, mit Löchern, durch welche die rauchgeschwärzten Kamine sichtbar waren. Unweit erhob sich ein niedriger Felsen, der wahrscheinlich früher als Steinbruch für den Bau der Wohnstätten verwendet worden war, und an dessen Fuß rieselte eine

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