Shardik
den Bergrücken hinunter.
Er erwachte, kroch ins Freie und versuchte, einen kurzen Blick auf die Sterne zu bekommen; entweder Blätter oder Wolken verdunkelten sie. Er überlegte, so gut er konnte. Wenn es nun sehr spät wäre – Mitternacht oder noch später –, mochten Genshed und Lalloc schlafen; dann könnte er vielleicht Radu und Shara befreien – ja, vielleicht sogar Genshed mit dessen Messer erstechen.
Es war eine stockdunkle Nacht, aber aus einer Richtung konnte er in der Ferne den teilweise, anscheinend durch eine Art Vorhang verdeckten Schein eines Feuers erkennen. Er machte einige Schritte darauf zu und merkte, daß er die Entfernung falsch eingeschätzt hatte, denn es war nah – ganz nah. Man hatte quer über den türlosen Eingang, durch den Genshed Radu bei Einbruch der Nacht geführt hatte, einen Mantel befestigt. Er trat näher, kniete nieder und blickte durch einen der Schlitze, durch welche die Glut sichtbar war.
Leere Steinwände, ein gepflasterter Fußboden – sonst nichts, und in dem Kamin gegenüber brannte ein niedriges Feuer. Er fragte sich, wer wohl das Holz gesammelt hätte. Die Sklavenhändler mußten es sich geholt haben, während er schlief. In der hinteren Ecke schliefen Radu und Shara auf den bloßen Steinen. Radu lag regungslos, aber Shara wimmerte dauernd, sie war unruhig und sichtlich krank. An der Wand neben ihr hüpfte ihr Schatten auf und nieder, er übertrieb jede Bewegung des kranken Kindes, wie das Echo in einer Schlucht den Ruf eines am Rande stehenden Mannes verstärkt und zurückwirft.
Genshed saß, einen langen Stock in einer Hand, auf seinem Tornister, starrte in die Flammen und kratzte verdrossen an einem Häufchen von Insekten, die sich auf der Spitze eines brennenden Holzscheits gesammelt hatten. Wieder befiel Kelderek die Vorstellung, daß er nie schliefe oder, wie ein Insekt, nur in einer bestimmten Jahreszeit eine Art Winterschlaf hielt. Ihm gegenüber saß Lalloc unbeholfen auf einem Holzscheit, sein verwundetes Bein ruhte auf einem zweiten. An Gensheds Tornister lehnte ein lederner Weinschlauch, den der Sklavenhändler nach einiger Zeit ergriff, daraus trank und ihn Lalloc reichte. Kelderek sah, daß jeder Fluchtgedanke aussichtslos war, und wollte wieder davonschleichen, als er Lalloc sprechen hörte. Trotz seines verwirrten Kopfes und der quälenden Insektenbisse hörte er neugierig zu.
»Du warst nicht immer in diesem Geschäft, nicht wahr?« fragte Lalloc und beugte sich vor, um sein Bein zu reiben. »Wie lange kenne ich dich schon, Gensh – drei Jahre?«
»Nein, nicht immer«, antwortete Genshed.
»Was hast du gemacht – warst du vielleicht Soldat?«
Genshed neigte sich vor und schob einen Käfer in die Flammen. »Ich war Henkersknecht in Terekenalt.«
»Is das ‘n guter Posten? Verdient man viel?«
»Man konnte leben«, sagte Genshed.
Es trat eine Pause ein.
»War ganz unterhaltend, wie?«
»Kinderei«, antwortete Genshed. »Bekam es satt. Man lernt es schnell genug und darf nur tun, was einem befohlen wird.«
»Das ist nicht viel, oder?«
»Also, es geht – man betrachtet ihr Gesicht, wenn sie herausgebracht werden, verstehst du, wenn sie alles sehen, was man speziell für sie vorbereitet hat – die Daumen- und Fußschrauben und dergleichen.«
»Zuerst die Fußschrauben, wie?«
»Können auch die anderen sein«, sagte Genshed, »wenn nur die Finger gebrochen werden. Aber du darfst dich nur dann und wann gehenlassen.«
»Was heißt dann und wann?«
Genshed trank wieder und überlegte.
»Wenn einer verurteilt ist, kannst du nichts anderes tun, als das Urteil vollstrecken. Das geht ja, aber es ist nicht besser als Knaben oder Tiere, nicht wahr? Das hab ich schließlich eingesehen.«
»Wieso – was kannst du denn noch mehr tun?«
»Vom Schreien und Weinen wirst du überdrüssig«, sagte Genshed. »Es ist schon etwas anderes, wenn man Informationen braucht. Das richtige ist, man bricht dem Mann den Mut, so daß er tut, was man will, und so bleibt, sogar wenn man schon mit ihm fertig ist.«
»Und das kannst du?«
»Dazu gehört Verstand«, sagte Genshed. »Natürlich hätte ich es gekonnt, ich habe Verstand, aber die Schweine gaben mir keine Chance. So ein Job wird dem gegeben, der ihn kaufen kann, nicht wahr? Die wollen keine Qualität. Ich wußte, was ich wert war, ich wollte nicht mein Leben lang bloß für meinen Lebensunterhalt ein Folterknecht bleiben. Zuerst nahm ich den Gefangenen ab, was ich kriegen konnte – weißt du,
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