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Shardik

Titel: Shardik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Adams
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sie zurückkamen, trat Genshed vor und faßte Radu freundlich an den Schultern. »Nun, Radu«, sagte er mit einer Art höherer Freude, »geh und bring Shara her. Beeil dich!«
    Radu starrte ihn an.
    »Man darf sie nicht fortbringen! Sie ist krank! Vielleicht stirbt sie!« Nach einer kurzen Pause rief er: »Das weißt du!«
    »Still jetzt«, sagte Genshed. »Sei still! Geh und hol sie, Radu!«
    In der umwölkten Benommenheit von Keldereks Sinnen gab es keine morgendlichen Laute, keine Steinhütten, keinen umgebenden Wald. Ein zerstörtes, ödes Land lag in der Überschwemmung. Das letzte Licht schwand, der Regen fiel in braunes, alles verwischendes Wasser; und während er auf diese hoffnungslose Landschaft blickte, zerbröckelte das Inselchen, das Radu war, und verschwand unter plätscherndem, gelbem Schaum.
    »Geh und hol sie, Radu!« sagte Genshed nochmals sehr ruhig.
    Kelderek hörte schon Sharas Weinen, bevor er Radu erblickte, der sie in seinen Armen trug. Sie wehrte sich, und der Junge vermochte sie kaum zu halten. Er bemühte sich, sie zu beruhigen und zu trösten, seine Stimme war, überdeckt von ihrem halb fiebrigen, ängstlichen Weinen, kaum zu hören.
    »Nicht, Radu, nicht, laß mich in Frieden, Radu, ich will nicht nach Schlag-auf-Lee!«
    »Still, Liebling, still«, sagte Radu, der sie unbeholfen festhielt. »Wir gehen heim. Ich hab es dir versprochen, erinnerst du dich?«
    »Tut weh«, weinte das Kind. »Geh fort, Radu, es tut weh.«
    Sie starrte Genshed an, ohne ihn zu erkennen, ihr eigener Schmutz bedeckte sie wie Trümmer die Straßen einer zerstörten Stadt. Schmutziger Speichel floß über ihr Kinn, und sie zupfte schwach an der schuppigen Kruste rund um ihre Nasenlöcher. Plötzlich schrie sie wieder, offenbar vor Schmerz, auf und ließ einen dünnen, wolkigen und milchweißen Urinstrom über die Arme des Jungen fließen.
    »Komm her, gib sie mir, Radu«, sagte Genshed und streckte die Hände aus.
    Kelderek blickte hoch und sah, wie seine Augen, glänzend und gefräßig wie die eines Riesenaals, zu beiden Seiten über seinem offenen Mund starrten.
    »Sie macht zuviel Lärm«, flüsterte Genshed und leckte sich über die Lippen. »Gib sie mir, Radu!«
    In dem Augenblick, da Kelderek einen Schritt vorwärts machen wollte, merkte er, daß Radu sich geweigert hatte, Genshed zu gehorchen. Er spürte den scharfen Ruck der Kette an seinem Handgelenk und hörte den Jungen, an den er gekettet war, fluchen. Zugleich wandte sich Radu um und stolperte davon, wobei Sharas Kopf schlaff an seiner Schulter hin und her rollte.
    »Nein, nein, Radu«, sagte Genshed im gleichen ruhigen Ton. »Komm hierher zurück!«
    Radu achtete nicht auf ihn und ging langsam, mit über seiner Bürde geneigtem Kopf weiter.
    Plötzlich zog Genshed knurrend sein Messer und warf es nach dem Jungen. Er verfehlte ihn, stürzte auf ihn los, riß ihm das Kind aus den Armen und schlug ihn zu Boden. Einen Augenblick blieb er regungslos stehen und hielt Shara in beiden Händen vor sich. Dann versenkte er seine Zähne in ihren Arm, und bevor sie noch schreien konnte, warf er sie in den Teich. Schreihals lief vorwärts, wurde zur Seite gestoßen, und Genshed sprang ihr nach ins Wasser.
    Sharas Körper fiel mit einem lauten Klatschen auf die Wasserfläche. Sie versank, hob dann aber den Kopf heraus, richtete sich auf und kniete in dem seichten Wasser. Kelderek sah, wie sie die geballten Fäuste hochwarf und wie ein Baby Atem holte, um zu schreien. Als sie das tat, watete Genshed durch den Teich, zog sie nach hinten und trat sie mit dem Fuß unter Wasser. Er stellte einen Fuß auf ihren Hals, blickte um sich und kratzte sich die Schultern, während der Aufruhr zuerst von starken, dann von schwachen Wellen im Wasser abflaute. Bevor das Wasser wieder ruhig war, hatte Shara, in den Kies und die farbigen Steine auf dem Grund gedrückt, aufgehört, um sich zu schlagen.
    Genshed stieg aus dem Teich, und die Leiche kam, mit dem Gesicht nach oben, an die Oberfläche; ihr vom Wasser dunkel gefärbtes Haar schwamm rund um ihren Kopf. Genshed ging schnell auf Radu zu, der noch auf dem Boden lag, riß ihn auf die Füße, hob sein Messer auf, schnipste dann mit den Fingern Schreihals zu und wies bergab zum Fluß. Kelderek hörte den Jungen keuchend zur Spitze des Zuges laufen.
    »Vorwärts, vorwärts«, murmelte Schreihals, »bevor er uns alle erschlägt. Nur weiter, nur weiter!«
    Von selbst hätten die Kinder keine hundert Schritte gehen können, sich nicht

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