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Shardik

Titel: Shardik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Adams
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aufrecht auf eine Bank setzen oder ihre verlausten Lumpen ablegen können. Lahm, krank, ausgehungert, kaum fähig, ihre Umgebung wahrzunehmen, wußten sie dennoch nur zu gut, daß ihr Schicksal in Gensheds Händen lag. Nur er hatte die Macht, die Lahmen zum Gehen, die Kranken zum Aufstehen und die Hungrigen zur Überwindung ihrer Schwäche zu veranlassen. Sie hatten sich ihn nicht ausgesucht, sondern er sie. Ohne ihn konnten sie nichts tun, aber jetzt hielt er an ihnen fest und sie an ihm. Er hatte die Welt überwältigt, so daß das Leben eine einfache Sache wurde, die darin bestand, unausweichlich seinem Willen gemäß dem Ziel zuzustreben, das er gesetzt hatte. Gensheds Wille trieb so weit an, wie es für seine Zwecke nötig war, und schloß Hoffnung und Furcht vor allem anderen ebenso aus wie jeden Sinn für weitere Einblicke oder Klänge – für Erinnerungen vom Vortag, für Schreihals’ offenkundige Angst, die merkwürdige Abwesenheit Bleds und für die Leiche des kleinen Mädchens, die zwischen den Trepsisranken am Teichrand schwamm. Die Kinder waren sich dieser Dinge kaum mehr bewußt als die Fliegenschwärme, welche die von Lallocs Blut getränkten Stellen auf dem Boden bedeckten. Es kümmerte sie nicht, welche Zeit oder Jahreszeit Genshed in seine Gewalt gebracht hatte. Ihnen genügte es, seinem Willen zu gehorchen.
    Kelderek, der sich zwischen den Bäumen bergab schleppte, konnte nicht mehr wahrnehmen als die übrigen. »Das Kind ist tot«, dachte er. »Genshed hat es getötet. Nun, solche Dinge sind bei uns alltäglich geworden; und dadurch weiß ich, daß meine eigene Sündhaftigkeit ihr Werk in mir vollendet hat. Würde ich nicht aufschreien, wenn ich noch ein Herz in der Brust hätte? Ich will aber gar, nichts, nur weitere Qual vermeiden.«
    Bleds Leiche lag halb verborgen im Unterholz, mitten unter Zeichen der Gewalttätigkeit – zertrampelte Erde und gebrochene Äste. Bleds Augen waren offen, aber der irre Glanz war im Tode verschwunden, auch seine Gliedmaßen wiesen nicht mehr ihre barbarisch geduckte Haltung auf. Das war es gewesen, was Bled größer erscheinen ließ, wie eine lebende Spinne in den Augen der Leute, die sie fürchten, durch ihre wachsame Spannung und die Möglichkeit des plötzlichen und sehr schnellen Laufs auf ihren gekrümmten Beinen vergrößert wird. Bled sah nun aus wie eine tote Spinne – klein, häßlich und harmlos; ja und auch zerschlagen, denn eine Kopfseite war zertrümmert, und der Körper war schlaff und zerknittert, als wäre er im Griff eines Riesen zerdrückt worden. Die linke Seite seiner Jacke war aufgerissen, und das freiliegende Fleisch durchzogen fünf klaffende, parallellaufende und tiefe Rißwunden.
    Sogar wenn er noch fiebriger und schwächer gewesen wäre, hätte Kelderek die Spuren unweit der Leiche erkannt. Sie waren undeutlich, denn den Boden bedeckten Moos und Schlingpflanzen, aber er hätte sie erkannt, auch wenn sie noch schwächer gewesen wären. Der Junge mußte vor kurzem, vor kaum zwei Stunden gestorben sein, und in dieser Erkenntnis ermahnte er die Kinder zum Schweigen und lauschte selbst gespannt.
    Schreihals ließ sich jedoch nicht beruhigen und warf sich in abergläubischem Entsetzen auf den Boden. Genshed kam mit dem an seinen Gürtel geketteten Radu heran und konnte Schreihals nur mit Mühe auf die Füße ziehen.
    »Verdammte Hölle!« weinte der Junge, sich sträubend. »Hab ich’s dir nicht gesagt? Es ist der Teufel, Genshed, er kommt uns alle holen! Ich habe ihn gesehen, sag ich dir, im Dunkel sah ich ihn – «
    Genshed schlug ihm ins Gesicht, und er fiel gegen Radu, der stocksteif dort stand und blind vor sich hinstarrte, als Schreihals sich plärrend an seine Hände klammerte. Kelderek, der es für höchst wahrscheinlich hielt, daß Shardik in Hörweite war, beobachtete, ob Genshed den Spuren Beachtung schenken oder sie als das, was sie waren, erkennen würde. Er zweifelte daran, und Gensheds erste Worte gaben ihm recht.
    »Sieht aus, als hätte ihn ein wildes Tier niedergeschlagen«, sagte Genshed. »Geschieht ihm recht, wenn er sich versteckt und vor Tagesanbruch abzuhauen versucht! Vorwärts, reiß dich zusammen, Schreihals, ich gebe dir eine Chance. Ich will gut zu dir sein, Schreihals. Es gibt keinen Teufel, du bist nur ein blöder kleiner Scheißkerl, und du mußt dich vor den Ikats hüten. Jetzt müssen wir uns beeilen, verstanden? Du gehst dort nach links, so weit du kannst, von dort werden sie kommen. Wenn du welche

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