Shardik
Alchimistenfeuer safranfarbig schimmernden Unterseiten seiner Flügel wurden beim Fliegen abwechselnd enthüllt und verborgen, er umkreiste die kleine Bucht, schwebte eine Zeitlang, breitete seinen goldberandeten Schwanz aus und ließ sich auf dem Heck des vertäuten Kanus nieder.
»Kynat wird es sagen!« rief er lebhaft, mit strahlenden Augen den ausgemergelten, bedauernswerten Menschen am Ufer zu, als wäre er tatsächlich mit der Absicht gekommen, ihnen und sonst niemandem seine Botschaft zu bringen.
Kelderek hörte den Ruf und sah sich nach dem Vogel um, konnte aber nur wirbelndes Grau und Grün, von goldenen Sonnenstrahlen durchstochen, erkennen. Dann, als der Vogel wieder rief, sah er vor sich den Hof in Zeray und Melathys, die sich zwischen den Fensterläden vorneigte. Während er hinblickte, verschwand sie schon, und ihm war, als sähe er sich selbst, wie er sich durch den dunklen Wald schleppte, während seine wie von einer Klippe zur anderen fallenden Tränen schließlich in eine äußerste Dunkelheit, älter als die Welt, verschwanden.
»Kynat wird es sagen!« rief der Vogel, und Kelderek kam zu sich, erblickte ihn, wie er über dem Wasser saß, und Genshed, der mit gespanntem Bogen, so daß die Pfeilspitze den Bogen berührte, dort stand. Plötzlich und unbeholfen, wie ein verkohltes Holzscheit ins Feuer fällt, warf er sich vorwärts: die Kette spannte sich, und er fiel auf Genshed, als dieser abschoß. Der abgelenkte Pfeil schlug ins Heck des Kanus, so daß es schaukelte und sich an der Vertäuung drehte, die Wellen wanderten über die Bucht. Der Vogel öffnete seine wundervollen Flügel, erhob sich in die Luft und flog stromabwärts.
»Die bringen vierhundert Meld ein!« schrie Genshed. Dann rieb er sich das linke Handgelenk, wo die losgeschnellte Bogensaite es gepeitscht hatte, und sagte sehr leise: »Ach, Herr Crendrik, ich muß mir für dich ein wenig Zeit nehmen, nicht wahr? Ja, das muß ich.«
Er war nun in einer gehobenen Stimmung des Selbstvertrauens, die noch schrecklicher war als seine Grausamkeit – die gehobene Stimmung des Diebs, der erkennt, daß im Hause nur eine hilflose Frau ist, die er daher berauben und auch noch vergewaltigen kann; des Mörders, der zusieht, wie sein allzu vertrauensvoller Gefährte fortgeführt wird, um der Anklage zu begegnen, die er, dank der Verschlagenheit seines vermeintlichen Freundes, nun nicht zu widerlegen vermag. Tatsächlich hatte er teuflisches Glück, aber er wußte genau, Glück hat eben der Tüchtige – der Mann mit Fähigkeit und Stil. Das Boot lag fahrbereit, es wehte kein Wind, das Wasser war ruhig. Lallocs Geld steckte sicher in seinem Gürtel, und an sein Handgelenk gekettet war eine Geisel, die mehr wert war als das Ergebnis von zehn Sklavenjagden. Zu seinen Füßen lag, hilflos, aber zum Glück nicht bewußtlos, der Mann, der ihm einst eine beklanische Sklavenhandelsgenehmigung verweigert hatte.
Mit der durch langjährige Übung erworbenen Schnelligkeit und Geschicklichkeit machte Genshed Kelderek und Radu los, verlängerte ihre Ketten mit Hilfe einer anderen, die er durch ihre durchbohrten Ohren zog, und befestigte die beiden an einem Baum. Kelderek kauerte sich zusammen, starrte auf das Wasser und ließ nicht erkennen, daß er wußte, was vorging. Dann schnipste der Sklavenhändler zum letztenmal mit den Fingern, führte die Kinder links über einen Pfad und nach unten zum stromaufwärts gelegenen Ende der Bucht.
Das Kanu lag am Ufer, an einem schweren, durchlöcherten Stein festgemacht – von der Art, wie sie oft von Fischern als Anker verwendet werden. Genshed beugte sich vor, legte zuerst seinen Tornister in das Boot und dann zwei Paddel, die nahe am Ufer lagen. Schließlich zog er eine Kette durch den Ankerstein und zurück zum Handgelenk des nächsten Kindes. Nun waren seine Vorbereitungen beendet, er ließ die Kinder zurück und stieg schnell den Hang hinauf.
Gerade als er zu Radu und Kelderek kam, stürzte Schreihals aus dem Unterholz. Wild um sich blickend, lief er über den Pfad zu der Stelle, wo Genshed mit dem Messer in der Hand stand.
»Die Ikats, Genshed, die Ikats! Sie kommen in Schwarmlinie durch den Wald! Sie müssen gleich, als es Licht wurde, die Suche nach uns begonnen haben!«
»Wie lange dauert es noch, bis sie hier sind?« fragte Genshed.
»Sie lassen sich Zeit, durchsuchen alles genau, jedes Gebüsch; aber keine Sorge, sie werden bald genug hier sein!«
Genshed antwortete nicht, sondern wandte sich wieder
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