Shardik
natürlich helfe ich dir, keine Sorge.«
»Nein, aber du schwörst es mir, Gensh? Schwörst mir, daß du mein Freund bist, daß du mir beistehst, mir immer hilfst, ja? Bitte schwöre es, Gensh!«
Genshed trat auf ihn zu und gab ihm die Hand.
»Ich schwöre dir, Lalloc, daß ich dein Freund bin, daß ich dir beistehen werde, so wahr mir Gott helfe.«
»Gott sei Dank, Gensh, Gott sei Dank, daß ich dich getroffen habe. Wir werden uns sicher retten. Jetzt schlafen wir ein wenig, aber gleich wenn es Tag wird, gehen wir los. Keine Zeit zu verlieren, weißt du.«
Er wickelte sich unbeholfen in seinen Mantel, legte sich neben das Feuer und schien sofort einzuschlafen, in Schlaf zu versinken wie ein Stein in einen Teich.
Kelderek kroch davon ins Dunkel, aber seine durch den Feuerschein zusammengezogenen Pupillen vermittelten ihm nicht das geringste Bild der ihn umgebenden Nacht. Er wartete, und dabei wurde ihm klar, daß er nicht nur nicht wußte, wohin er gehen könnte, sondern daß es auch nichts ausmachte. Genshed würde nicht schlafen – dessen war er sicher. Er konnte entweder waffenlos in den Wald kriechen und hungern, bis die Soldaten ihn fänden, oder bleiben und auf Gensheds Willkür bei Tagesanbruch warten. Soll ein Ochse im Schlachthaus nach rechts oder links gehen? »Wir nehmen den Jungen mit.« Aber ihn, Kelderek, würde Genshed nicht mitnehmen über den Telthearna – darin läge für ihn kein Vorteil. Wenn er ihn nicht tötete, würde er ihn am Ufer auf die Soldaten warten lassen.
Es erfaßte ihn schreckliche Verzweiflung und eine panische Angst – die Angst eines Mannes, der weiß, daß alles, was er befürchtet hat, nun bevorsteht und unausweichlich ist, daß die Tür verschlossen ist und die Wasser steigen. Er erhob sich, streckte die Arme aus, starrte ins Dunkel und versuchte, die Umrisse der Ruinen rundum zu erkennen. Eine konnte er ausmachen – eine dunkle Masse rechts von ihm, niedrig, doch gerade noch erkennbar gegen etwas, das wie eine Lücke zwischen den Bäumen aussah. Er bückte sich, dann kniete er nieder und versuchte, sie klarer gegen den Himmel zu sehen. Als er hinstarrte, bewegte sie sich, und im selben Augenblick stieg ihm ein Geruch in die Nase, der ihn sofort an das Stroh, die rauchenden Fackeln und die mit Ziegeln ausgefüllten Arkaden des Königlichen Hauses in Bekla erinnerte – der scharfe, stinkende Geruch des Bären.
Längere Zeit hindurch dachte Kelderek, er müsse schon tot sein. Er hatte den Teich und die Trepsis als Anzeichen seines Todes hingenommen. Daß Genshed wußte, wer er war – es von Anfang an gewußt hatte –, das hatte ihm seine Hilflosigkeit richtig zu Bewußtsein gebracht, die stets die Entdeckung begleitet, daß etwas, das wir für geheim hielten, in Wirklichkeit dem Feind immer schon bekannt war. Und nun, in dieser seiner höchsten Not, war Shardik, den er vor drei Tagen weit fort im Süden gesehen hatte, ungesehen, ungehört aus den Weiten des Waldes aufgetaucht. Es fiel Kelderek nicht ein, sich zu fragen, ob er aus Rache oder aus Mitleid gekommen war; sein geschwächter Sinn wurde einfach von Entsetzen vor dem Unglaublichen überflutet.
Wieder bewegte sich die dunkle Masse gegen den Himmel, und nun bewies ein tiefes Knurren, daß er in der Nähe war – näher, als es den Anschein gehabt hatte, nur wenige Schritte entfernt. Kelderek wich zurück bis an die Mauer der Unterkunft der Sklavenhändler, bedeckte sein Gesicht mit den Händen und wimmerte vor Furcht.
Da ertönte ein entsetzlicher Schrei aus dem Inneren. Ein zweiter folgte, dann noch einer; Flüche, Schläge, der dumpfe Aufschlag eines schweren Gegenstands, krampfhaftes Zappeln und schließlich ein langgezogenes, ersticktes Stöhnen. Der über dem Eingang befestigte Mantel wurde zur Seite gerissen, und der Feuerschein strahlte heraus, beleuchtete einen Augenblick zwei rote, im Dunkel glühende Augen und eine große, schwarze Form, die kehrtmachte, davonstolperte und zwischen den zerstörten Mauern verschwand. Dann trat wieder Stille ein, nur unterbrochen durch ein ruckweise ziehendes Geräusch, das schließlich aufhörte, und das schwere Atmen von jemandem, der sein Werk durch neuerliches Befestigen des Mantels über dem Eingang zu Ende führte. Der Feuerschein war eingeschlossen, und Kelderek, der nichts weiter erfaßte, als daß Shardik fort und er selbst am Leben war, kroch in die erste Spalte, die er fand, und blieb dort liegen, ohne zu wissen, ob er schlief oder wachte.
54. Der
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