Shardik
wohl ihre eigenen waren, die sie während ihrer ganzen Wanderungen versteckt und in Sicherheit gehalten hatte, oder hatte die Tuginda sie ihrer begnadigten Priesterin beim Verlassen von Zeray geschenkt? Ihr langes schwarzes Haar war um ihren Kopf gewunden und mit zwei schweren Holznadeln befestigt – sicherlich das Allerbeste, was Dirion ihr borgen konnte. Das dunkelrote Kleid, das sonst gerade wie ein Hemd von den Schultern nach unten gefallen wäre, war an der Taille durch einen Gürtel aus weichem, grauem Leder mit Kreuzmuster aus Bronzeknöpfen zusammengehalten, und darunter trug sie einen leicht schwingenden Rock, der bis zu den Knöcheln reichte. Sogar in diesem Augenblick fragte sich Kelderek, wie sie zu dem Gürtel gekommen sein mochte. Hatte sie ihn aus Zeray mitgebracht, oder war er ein Geschenk von Tan-Rion oder einem anderen Offizier aus Yeldashay?
Draußen, zwischen den Hütten, wartete eine doppelte Soldatenreihe aus Sarkid in vollständiger Rüstung. Alle Männer trugen die Kornähren an der linken Schulter. Es waren Speerträger, und beim Herankommen der Priesterin von Quiso, gefolgt von ihren Offizieren und dem hinkenden, bleichen ortelganischen Priesterkönig, der als Kamerad mit dem Sohn ihres Statthalters gelitten hatte, grüßten sie mit den Bronzeenden ihrer Speere, die sie mit dumpfem, rollendem Klopfen auf die festgetretene Erde schlugen. Melathys verneigte sich vor dem Treisatt und nahm ihren Platz an der Spitze und zwischen den beiden Reihen ein. Kelderek, der sich noch immer auf die Schultern des Soldaten stützte, nahm einige Schritte hinter ihr Aufstellung. Nach kurzer Zeit wandte sie sich um und kam zu ihm zurück.
»Hast du es dir nicht anders überlegt, Liebster?« flüsterte sie.
»Wenn wir langsam gehen, kann ich es schaffen.«
Mit einem dankenden Kopfnicken an seinen Soldaten kehrte sie an ihren Platz zurück, blickte sich rasch um und setzte sich mit dem gleichen feierlichen, schleifenden Schritt in Bewegung; der Treisatt und seine Leute folgten ihr. Kelderek kam hinkend, schwer atmend und auf die Schulter des Soldaten gestützt hinterher. Der Telthearna lag links von ihnen, und er merkte, daß sie südwärts aus dem Dorf auf die Stelle zugingen, wo Shardik gestorben war. Sie kamen an bebauten Feldern, einem Schuppen für Ochsen, vor dem ein großer Misthaufen lag, einem Rahmen, auf dem Netze zum Trocknen hingen, und an einem hochkant auf einem Ende stehenden Kanu vorbei, das geflickt war und dessen frische Kalfaterung schwarz in der Sonne glänzte. Während er zwischen den beiden Soldatenreihen weiterhinkte, erinnerte er sich, wie er einst mit seinen scharlachgewandeten Priesterinnen, die ihm die Schleppe seiner mit farbigen Streifen verzierten Robe nachgetragen hatten, durch die Straßen Beklas geschritten war. Er konnte wieder das Gewicht der gebogenen, von den Fingern seiner Handschuhe hängenden Silberklauen spüren, den Gongschlag hören und die Eleganz der ihn umgebenden Begleiterinnen sehen. Er empfand kein Bedauern. Jene große Stadt würde er nie, niemals wiedersehen, das wußte er; und auch die Illusion war dahin, die ihn unter Blutvergießen dorthin getragen und ihn von dort, allein und verlassen, zu Leid und Selbsterkenntnis geführt hatte. Aber das Geheimnis, das große Geheimnis des Erdenlebens, das Geheimnis, das Shardik vielleicht einem demütigen, selbstlosen, lauschenden Herzen hätte vermitteln können – mußte auch das für immer verloren sein? »Ach, mein Herr Shardik«, betete er still, »das Reich war Stolz und Torheit. Ich bereue meine Blindheit, und ich bedaure auch, daß du so viel durch mich erduldet hast. Doch um anderer, nicht um meinetwillen flehe ich dich an, laß uns nicht für immer ohne die Wahrheit zurück, die zu enthüllen du kamst. Nicht weil wir es verdienen, sondern aus Barmherzigkeit und deinem Mitgefühl für die Hilflosigkeit der Menschen!«
Sein Fuß glitt aus, und er stolperte und klammerte sich schnell an die Schulter seines Begleiters.
»Geht’s wieder, Kamerad?« flüsterte der Soldat. »Halte dich fest. Sieh nur, wir sind bald dort.«
Er hob den Kopf und blickte nach vorne. Die beiden Reihen gingen nun auseinander, während Melathys allein weiterschritt. Nun erkannte er, wo er war. Sie waren bei dem Uferteil angelangt, der zwischen dem südlichen Ausläufer des Dorfes und der bewaldeten Bucht lag, wo Shardik gestorben war. Er sah, daß er voller Menschen war, konnte aber vorerst die Leute nicht erkennen, welche den
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