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Shardik

Titel: Shardik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Adams
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knienden Kinder, und das kleine Mädchen, zwischen die starken, schützenden Pranken gekuschelt, lächelt wie im Schlaf. Das Feuer brennt züngelnd, die Wellen schlagen weiß wie Wolle an den Strand. Vielleicht – wer weiß? – ist dies wirklich die Wahrheit, einer Eiche gleich aus der längst in der Erde verschwundenen Eichel entsprungen: die zerlumpten, murmelnden Bauern (von denen manche schon zu der abendlichen Hausarbeit fortschleichen), die nur halb begriffenen Befehlen gehorchenden Soldaten, deren gewissenhaft ausgebesserte und polierte Kleidung und Rüstung alle Merkmale eines harten Feldzugs und Eilmarsches zeigen, der Schreihals, der sich ums halbe Leben abmüht, ein paar Tränen herauszuquetschen, Keldereks unüberwindliches Zittern, Melathys’ müde, dunkel umschattete Augen und ihr Wollkleid, der schmutzige Dorfabfall, der im seichten Wasser treibt, und der klägliche Wirrwarr auf dem Floß. Alles wurde damals nicht bemerkt oder empfunden und ist längst verschwunden – bloße Körper, über denen der mächtige Stamm gewachsen ist und unter dem sich gewaltige Wurzeln ausgebreitet haben. Und verlorengegangen sind auch die von Melathys gesprochenen Worte – man kann sie nur mehr erraten.
    Melathys sprach ortelganisch, eine den Yeldashayern weitgehend unbekannte Sprache, wenn sie auch von den Tissarner Dorfbewohnern recht gut verstanden wurde. Sie begann mit der auf Quiso traditionellen Anrufung unseres Herrn Shardik, dann folgte eine Reihe von Gebeten, deren archaische und schöne Satzgefüge ohne Zögern von ihren Lippen flossen. Dann wandte sie sich an ihre Zuhörer und erzählte ihnen mit ruhiger Stimme von der Auffindung Shardiks auf Ortelga und seiner Lebensrettung durch die Priesterinnen von Quiso; wie er lebend aus dem Streel zurückgekommen war, von seinem gottgewollten Leiden und seinem frommen Tod, durch den er Sarkids Erben und die versklavten Kinder aus der Macht des Bösen rettete. Kelderek hörte zu und staunte, weniger über ihre Selbstbeherrschung als über die von ihrer Stimme und Haltung ausstrahlende Autorität und Bescheidenheit. Es war, als habe sich die Frau, die er kannte, aufgegeben und sei ein bis zum Rand mit Worten – alt, allgemein und geschliffen wie Steine – volles Behältnis geworden, um durch sie der Menschheit Kummer und Mitgefühl für den Tod, das allen Geschöpfen gemeinsame Los, nicht von ihr ab-, sondern durch sie hindurch fließen zu lassen. Es schien, als sprächen aus ihrem Mund die Toten zu den Ungeborenen, wie ein Sandkorn nach dem anderen durch die schmalste Stelle des Stundenglases rinnt. Schließlich ging der Sand zur Neige, und das Mädchen stand regungslos, mit gesenktem Kopf da.
    Die Stille wurde durch die Stimme des jungen Fähnrichs unterbrochen, der wie ein Vorsänger das schöne Yeldashayer Klagelied anstimmte, das mitunter »Deparioths Gram« genannt wird, aber vielleicht unter dem Namen »Die Tränen von Sarkid« in weiteren Kreisen bekannt ist. Es erzählt von der heiligen Geburt und der Jugend U-Deparioths, des Befreiers von Yelda und Gründers des Hauses Sarkid, und wird bis heute gesungen, allerdings hat es sich im Lauf der Jahrhunderte vielleicht verändert; so wie angeblich die Formen der Sternbilder Änderungen unterliegen, doch kein Mensch lebt lange genug, um sie wahrzunehmen. Die Soldaten nahmen das Klagelied im Chor auf, ihr feierlicher Gesang wurde lauter und hallte vom Deelguyer Ufer wider.
     
    Zwischen den hohen Ähren legte sie sich nieder,
    in bittrem Schmerz lag das verlaßne Mädchen dort.
    Allein, verwundet, mit dem Fluch des Streels belastet,
    gebar sie Held Deparioth, als Yelda lag in Ketten.
     
    Der Soldat neben Kelderek sang mit den anderen, die Worte fielen ihm gedankenlos von den Lippen, für ihn drückten sie sein Gefühl aus, daß er nur ein Teil von etwas Größerem war, von seinem Volk, seiner Heimat und seinen Erinnerungen, die keinem anderen gehörten und die seinen kleinen Anteil am menschlichen Leben bedeuteten.
     
    Er kannte nicht Vater, nicht Mutter.
    Als Sklave mühte er sich unter fremden Menschen,
    verbannt, in einem Land, das nicht das seine,
    der Graf Deparioth, als Gottes Schwert berufen.
     
    Der Fähnrich trat vor und hielt das Kornähren-Banner vor sich; von der gegenüberstehenden Reihe kam ihm ein Dorfbewohner der ein Fischernetz in den Armen trug, entgegen. Zusammen wandten sie sich flußwärts und schritten auf Melathys zu, gingen an ihren beiden Seiten vorbei und wateten ins seichte Wasser, um

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