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Shardik

Titel: Shardik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Adams
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steinigen, offenen Platz umgaben, zu dem er Melathys folgte. Plötzlich wurde er von Angst erfaßt.
    »Warte!« sagte er zu dem Soldaten. »Warte einen Augenblick!«
    Er blieb, immer noch auf den Mann gestützt, stehen und blickte sich um. Von allen Seiten waren ihm Gesichter zugewandt und starrten Augen erwartungsvoll. Er merkte, warum er sich erst gefürchtet hatte. Er hatte sie schon früher gekannt – die Augen, die Stille. Aber jetzt blickte ihn jeder, wie um die Flüche umzukehren, die er aus Kabin mitgenommen hatte, bewundernd, mitleidig und dankbar an. Links von ihm standen die Dorfbewohner: Männer, Frauen und Kinder in Trauer, mit bedeckten Köpfen und nackten Füßen. Hinter der Soldatenreihe, die haltgemacht hatte und nun in geöffneter Ordnung im Halbkreis versammelt stand, füllten sie den Strand bis zum Wasserrand. Obwohl sie aus natürlicher Ehrfurcht und Gefühl für den Anlaß nicht vorwärts drängten, ließ es sich nicht vermeiden, daß sie sich hin und her bewegten, als sie einander die schöne Priesterin aus Quiso und den heiligen Mann zeigten, der so bittere Not und Grausamkeit erduldet hatte, um die Wahrheit und Gottes Kraft zu verteidigen, und die Kinder emporhoben, damit sie sie sähen. Viele von den Kindern trugen Blumen – Trepsis und Feldlilien, Planella, grünblühende Weinranken und lange Zweige mit Melikonblüten. Plötzlich kam aus eigenem Antrieb ein kleiner Junge heran, starrte ernst zu Kelderek hoch, legte ihm seinen Strauß zu Füßen und lief zu seiner Mutter zurück.
    Rechts standen die Yeldashayer Soldaten – die ganze Abteilung aus Sarkid, die von Kabin anmarschiert war, um den Durchlaß bei Linsho zu sperren. Auch ihre Reihe reichte bis zum Wasserrand, und ihre polierten Waffen schimmerten prächtig im Licht der sich nach Westen neigenden Sonne. Vorne hielt ein junger Offizier das Kornährenbanner hoch, doch als Melathys an ihm vorbeiging, sank er auf ein Knie und senkte es langsam, bis der blaue Stoff ausgebreitet auf den Steinen lag.
    Mit einem außergewöhnlichen Gefühl ernster, feierlicher Freude, wie er es noch nie erlebt hatte, raffte sich Kelderek auf und ging über den Strand. Er konnte den Fluß noch immer nicht sehen, denn zwischen ihm und Melathys stand ihm eine dritte Gruppe gegenüber – eine einfache Reihe parallel zum Wasserrand, die sich zwischen den Dorfbewohnern und den Soldaten hinzog. In ihrer Mitte stand Radu, bleich und angespannt, wie Melathys in dörflicher Tracht; sein Gesicht war durch blaue Flecke entstellt, und er trug einen Arm in der Schlinge. Zu beiden Seiten von ihm standen je fünf oder sechs Sklavenkinder – offenbar alle, die die Kraft zum Stehen und Gehen aufbringen konnten. Tatsächlich schien es Kelderek, als er sie anbückte, daß einige von ihnen es kaum schafften, denn zwei oder drei stützten sich wie er selbst auf Gefährten – es schienen Dorfkinder zu sein –, während hinter der Reihe Bänke standen, von denen sie sich offensichtlich beim Herankommen der Priesterin erhoben hatten. Er sah den Knaben, mit dem er in der Nacht gesprochen hatte und der ihm von Schlag-auf-Lee erzählt hatte. Dann fuhr er plötzlich zusammen, als er am Ende der Reihe den Schreihals erkannte, der ihm einen Moment ins Auge sah und dann schnell fortblickte.
    Als Melathys stehenblieb, räumten die Soldaten die Bänke fort, die Kinder entfernten sich nach beiden Seiten, und nun sah Kelderek zum erstenmal das Ufer und den dahinter strömenden Fluß.
    Auf den Steinen, ein Stück vor dem Ende der Soldatenreihe auf der Uferseite, brannte ein Feuer. Es war hell und klar, fast ohne eine Spur von Rauch, und darüber war die Luft zittrig und verzerrte den Blick in die Ferne. Dies merkte er aber kaum und starrte wie ein Kind mit zum offenen Mund erhobener Hand auf das, was unmittelbar vor ihm lag.
    Im seichten Wasser war ein schweres Floß vertäut – es war größer als der Fußboden einer Wohnhütte und aus jungen, mit Schlingpflanzen verbundenen Baumstämmen zusammengebaut. Es war mit hoch aufgeschichtetem Reisig, Holzklötzen und -bündeln bedeckt, auf die man Blumen und grüne Zweige gestreut hatte. Auf diesem großartigen Bett lag Shardiks Leiche; sie drückte es nieder wie eine Festung den Grund, auf dem sie steht. Shardik lag auf einer Seite, so zwanglos, als ob er schliefe, eine Vordertatze war ausgestreckt, die Klauen hingen fast bis ins Wasser. Die Augen waren geschlossen – vielleicht zugenäht, dachte Kelderek, der bemerkte, mit welcher Sorgfalt

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