Shardik
und Mühe die Dorfbewohner und Soldaten ihre Vorbereitungsarbeiten für die Bestattung von Gottes Kraft ausgeführt hatten –, aber der lange Keil seiner Schnauze hatte, falls er einmal geschlossen gewesen war, seine Verschnürung gesprengt, so daß die von den Lippen freigelegten spitzen Zähne zu sehen waren. Das arme, verwundete Gesicht war gesäubert und versorgt worden, doch es war den Soldaten nicht gelungen, für jemanden, der sie einmal gesehen hatte, die Spuren von Shardiks Wunden und Leiden zu entfernen. Auch konnte das lange, sorgfältige Kämmen, die Beseitigung von Dornen und Stacheln und das Einreiben mit Öl die jämmerlich verhungerte Körperverfassung nicht verbergen. Klein konnte Shardik unmöglich wirken, aber er sah weniger kolossal aus und war im Griff des Todes gewissermaßen geschrumpft. Er strömte einen leichten Aasgeruch aus, und Kelderek wurde klar, daß Melathys, sobald sie die Nachricht gehört hatte, die Notwendigkeit schnellen Handelns erfaßt und gewußt haben mußte, daß sie nur knapp Zeit haben würde, alles auszuführen, was die Tuginda wünschen würde. Sie hatte alles gut erledigt, dachte er, mehr als gut. Als er dann noch einige schmerzende Schritte machte, sah er, was ihm vorher verborgen gewesen war.
Zwischen Shardiks Vorderpranken lag Sharas Leiche. Die ausgestreckte Tatze bedeckte ihre Füße, und ihr erhobener Kopf ruhte auf der anderen. Sie war barhaupt, in ein weißes Hemd gehüllt, und ihre Hände umklammerten einen Strauß aus scharlachroten Trepsisblüten. Ihr blondes Haar war über ihre Schultern gekämmt, und um ihren Hals lag eine Schnur aus durchbohrten, farbigen Steinen. Obwohl ihre Augen geschlossen waren, sah sie nicht aus, als schliefe sie. Ihr magerer Körper und ihr Gesicht waren die eines toten Kindes, blutleer und wächsern und sauberer, stiller und ruhiger, als Kelderek sie je im Leben gesehen hatte. Er ließ seinen Kopf auf den Arm des Soldaten sinken und schluchzte so hemmungslos, als wäre das Ufer menschenleer.
»Nur ruhig, Kamerad, nur ruhig«, flüsterte der freundliche Bursche, übersah alles außer dem armen Fremden, der sich an ihn klammerte. »Nun, sie sind nicht hier, weißt du. Das ist nichts, gar nichts. Sie sind irgendwo anders, wo es besser ist, sicherlich. Wir müssen bloß tun, was richtig ist und sich gehört, nicht wahr?«
Kelderek nickte, stützte sich auf den hilfreichen Arm und wandte sich, als Melathys auf dem Weg zu Tan-Rion nahe an ihm vorbeikam, nochmals dem Floß zu. Trotz allem, was sie den Yeldashayern zu verdanken hatten, sprach sie, wie es richtig war, mit der ihr zustehenden Autorität und nicht wie jemand, der um eine Gunst bittet.
»Hauptmann«, sagte sie, »dem alten Gesetz von Quiso gemäß dürfen an einem unserem Herrn Shardik geweihten Platz keine Waffen getragen werden. Ich sage dir das, überlasse es aber natürlich dir, die dir geeignet erscheinenden Befehle zu erteilen.«
Tan-Rion nahm es sehr gut auf. Er zögerte nur einen Augenblick, nickte, ließ dann die Soldaten kehrtmachen und führte sie am Ufer entlang in eine gewisse Entfernung. Dort legten alle ihre Speere nieder und daneben Gürtel, Kurzschwert und Messer. Dann kamen sie zurück, machten halt und bildeten ihre Reihe; Melathys trat ins seichte Wasser und stand regungslos, mit zu Shardik und dem toten Kind ausgestreckten Armen vor dem Floß.
Wie oft ist diese Szene schon abgebildet worden – in Relief auf Stein gehauen, auf Wände gemalt, mit Pinsel und Tinte auf Schriftrollen gezeichnet, mit spitzen Stöcken in den feuchten Sand des Telthearnaufers gekratzt? Auf der einen Seite die Fischer und Bauern, auf der anderen die unbewaffneten Soldaten, die Handvoll Kinder neben dem Feuer (jene zuallererst, die unseres Herrn Shardiks Namen preisen sollen), der MANN, auf den Arm des Soldaten gestützt, die FRAU, allein stehend vor den Leichen auf dem schwimmenden Scheiterhaufen? Die Bildhauer und Maler taten, was von ihnen verlangt wurde, fanden Mittel, um Ehrfurcht und Staunen in den Herzen von Menschen wiederzubeleben, welche die Geschichte seit ihrer Kindheit kannten. Das Fischervolk, schöne, starke junge Männer, stattliche alte Patriarchen und deren würdevolle Frauen, stehen den prächtigen Soldaten gegenüber in ihren roten Mänteln, jeder ein Krieger, der tausend Herzen erobert. Des MANNES ungeheilte Wunden färben mit ihrem Blut die Steine rot, die FRAU trägt Gewänder wie eine Göttin; von unseres Herrn Shardiks Leib strömt Licht auf die
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