Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Shardik

Titel: Shardik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Adams
Vom Netzwerk:
weißt ja‹, sagte sie, ›so gut wie ich, was wir gelehrt wurden und was wir anderen beibrachten. Wir wurden gelehrt, daß Gott Shardiks Wahrheit durch zwei erwählte Werkzeuge, einen Mann und eine Frau, offenbaren werde; und daß Er diese Werkzeuge in Stücke brechen und für Seine Zwecke neu formen werde. Ich hatte in meinem dummen Stolz angenommen, ich selbst sei die Frau, und habe oft gedacht, daß ich tatsächlich das Zerbrechen erleide. Ich hatte unrecht. Es war nicht ich, mein liebes Kind‹, sagte sie mir. ›Nicht ich war es, sondern eine andere Frau, die Er zu zerbrechen auserkor und die Er nun neu geformt hat.‹«
    Melathys weinte, und er legte den Arm um sie, Schock und Verwunderung raubten ihm die Sprache. Doch es gab für ihn keinen Zweifel, und als ihm die Erkenntnis zu dämmern begann, was ihre Worte bedeuteten, war es, als blicke er aus zu einem unbekannten, in frühmorgendlichem Zwielicht und Nebel halb verborgenen Land.
    »Wir müssen zurück zur Tuginda«, sagte sie schließlich. »Sie wird eine Nachricht nach Quiso senden müssen und Hilfe bei den Vorbereitungen ihrer Reise brauchen. Und Ankray – man muß etwas für ihn tun. Aber der verdammte Junge dort draußen – «
    »Er ist ein Mörder.«
    »Ich weiß. Möchtest du ihn töten?«
    »Nein.«
    »Mir fällt es leichter, ihn zu bemitleiden – ich war ja nicht dabei. Aber er war ein Sklave wie die übrigen, nicht wahr? Ich nehme an, er hat keine Verwandten?«
    »Wir werden wahrscheinlich feststellen, daß es mehr solche gibt. Es sind die Ungeliebten und Verlassenen, die als Sklaven verkauft werden, weißt du.«
    »Ich muß es wohl wissen.«
    »Ich auch. Gott verzeih mir! O Gott, verzeih mir!«
    Sie brachte ihn mit dem Finger, den sie ihm an die Lippen hielt, zum Schweigen. »Neu geformt für Seinen Zweck. Ich glaube, ich beginne es endlich zu begreifen.«
    Sie hörten, wie Dirion die Leiter bestieg. Melathys erhob sich, beugte sich über ihn und küßte ihn auf die Lippen. Er ließ ihre Hand nicht los und sagte:
    »Was sollen wir also tun?«
    »Ach, Kelderek! Mein liebster Kelderek, wie oft fragst du noch? Es wird uns gezeigt werden, uns gezeigt, gezeigt werden, was wir tun sollen!«
     
    Am nächsten Tag waren seine Wunden wieder entzündet und schmerzhaft. Er hatte Fieber und blieb im Bett, aber am darauffolgenden Morgen fühlte er sich wohl genug, um in der Sonne zu sitzen und auf den Fluß zu blicken, während er seinen Arm in warmem, mit Kräutern versetztem Wasser badete. Der Pflanzenduft vermengte sich mit Holzrauch von Dirions Feuer; unten spielten einige Kinder und balgten sich beim Auslegen der Netze, die am Strand trocknen sollten. Melathys war gerade mit dem Verbinden seines Armes fertig geworden und knüpfte eine Schlinge dafür, als sie plötzlich in einiger Entfernung vom Dorfrand Beifallsrufe hörten. Es gibt so viele Arten von Beifall wie von Kinderweinen; man erkennt an dem Lärm ganz deutlich, ob die Ursache tief oder seicht, groß oder klein ist. Dies waren keine ironischen Beifallsrufe, auch kein Jubel für sportliche Leistungen eines Kameraden oder Helden, sondern tiefe, andauernde Freudenrufe bei der Erfüllung langgehegter Hoffnung und Erleichterung. Sie blickten einander an, Melathys ging zur Leiter und rief zu Dirion hinunter. Die Beifallsrufe verbreiteten sich durch das ganze Dorf, sie hörten eilige Schritte und Männerstimmen, die aufgeregt Yeldashay sprachen. Melathys stieg nach unten, und er hörte, wie sie jemanden rief, der sich in einiger Entfernung befand. Lärm und Aufregung loderten um das Haus auf wie ein Feuer, und er war schon fast entschlossen hinunterzusteigen, als sie hurtig wie ein Eichhörnchen die Leiter emporstieg. Sie ergriff seine gesunde Hand und kniete neben ihm auf dem Boden hin.
    »Elleroth ist hier«, sagte sie, »und es heißt, daß der Krieg vorbei ist – aber ich weiß ebensowenig wie du, was das bedeutet.«
    Er küßte sie, und sie warteten schweigend. Melathys legte ihren Kopf auf seine Knie, und er streichelte ihr Haar; ihn wunderte, daß ihm sein Schicksal so gleichgültig war. Er dachte an Genshed, an die Sklavenkinder, an Shara und ihre bunten Steine, an Shardiks Tod und an das brennende Floß. Es schien wenig auszumachen, was darauf folgen mochte, außer daß er, mochte kommen, was da wolle, Melathys nicht verlassen würde. Schließlich sagte er: »Hast du Schreihals heute morgen gesehen?«
    »Ja. Es geht ihm zumindest nicht schlechter. Gestern habe ich eine Frau bezahlt, die

Weitere Kostenlose Bücher