Shardik
ihre Bürden auf das Floß zu legen. Radu folgte ihnen, legte seine Hand für einen Augenblick zuerst auf Shardiks graue Klauen, dann auf Sharas Stirn. Er ging zurück ans Ufer, zog ein brennendes Scheit aus dem Feuer und blieb wartend, das brennende Holz vor sich hochhaltend, stehen.
Könnt’ ich dich treffen, mächt’ger Graf Deparioth,
könnt’ ich dich treffen, deine Hand mit meiner fassen,
ich sagte dir: unvergessen sind in Yelda deine Taten,
noch immer fließen dir zu Ehren Sarkids Tränen.
Der Gesang wurde leiser und verstummte. Da hob Melathys ihren Kopf mit einem langen, wehklagenden Schrei, der Kelderek sofort an die Stadt Bekla erinnerte, wie sie still in heiligem Dunkel gelegen hatte, an das Gewicht seiner schweren Kleidung und das plötzliche Auflodern der Flamme im Nachthimmel.
»Shardik! Unseres Herrn Shardiks Feuer!«
»Unseres Herrn Shardiks Feuer!« erwiderten die Dorfbewohner.
Langsam kam Radu über die Steine heran und reichte Kelderek das brennende Holz.
Momentan verwirrt durch seine lebhafte Erinnerung, zögerte Kelderek, unfähig zu begreifen, was man von ihm verlangte. Als sich dann sein Sinn klärte, fuhr er zusammen, trat einen Schritt zurück und hob eine Hand wie zu einer Weigerung. Radu ließ sich auf ein Knie nieder und hielt ihm immer noch das Feuer entgegen.
»Anscheinend meinen sie, Ihr müßt es tun, Herr!« flüsterte der Soldat. »Glaubt Ihr, Ihr könnt es schaffen?«
Kelderek vernahm in der Stille nur das Knistern der Flamme und dahinter den Wellenschlag des Flusses. Er heftete den Blick auf das Floß, trat vor, ergriff den Feuerbrand aus Radus Hand und schritt zum Ufer, wo Melathys noch immer mit gesenktem Kopf wartete.
Nun war er allein im Wasser, niemand stand zwischen ihm und dem toten Kind, er war Shardik näher als jemals seit dem Tag, da er lebend aus dem Streel gekommen war. Die Leichen lagen vor ihm: die des Bären mächtig wie ein Mühlenrad vor der Mühlenwand, gezeichnet von den Seilen, mit denen er herangeschleppt worden war, und durch die Pfeilwunde in dem ausgehungerten, erstarrten Tierantlitz.
Er fragte sich, ob man von ihm erwarte, daß er spreche oder bete; dann sah er, daß ihm keine Zeit verblieb, denn der Feuerbrand war schon fast erloschen und mußte sofort benutzt werden.
»Senandril, mein Herr Shardik!« rief er. »Nimm hin unser Leben, Shardik, unser Herr, der für die Kinder starb!«
Bis zum Gürtel im Wasser, hielt er sich mit seiner verwundeten Hand am Floßrand fest und schleuderte den Feuerbrand in den vor ihm hegenden Haufen aus Reisig und Spänen. Er fing sofort Feuer und loderte in undurchsichtig gelben Flammen empor. Kelderek zog den Feuerbrand wieder heraus und zündete den Reisig- und Stöckehaufen noch an mehreren Stellen an. Als schließlich das Ende abbröckelte und ihm die Finger versengte, warf er es in einem Funkenschauer auf die Spitze des Scheiterhaufens. Es lag brennend ein wenig höher als die Stelle, wo Shara lag.
Langsam drehte sich das Floß von ihm fort. Er ließ es unbeholfen los und zuckte bei dem Schmerz in seinem Arm, als er sich aufrichtete, zusammen. Hinter ihm hatten die Soldaten die Halteseile gelöst, die nun zu beiden Seiten an ihm vorbeitrieben und Wellen verursachten, aber in dem schmutzig seichten Wasser unsichtbar waren.
Denn nun brannte die ganze, dem Ufer zugewandte Seite des Scheiterhaufens und bildete eine lodernde Wand heißer, durchscheinender, grün, rot, orange mit schwarzen Flecken gefärbter Flammen. Das Feuer lief zurück in den Kern des Scheiterhaufens und enthüllte dessen Tiefe wie Sonnenlicht die Distanz zwischen Bäumen im Wald; und als es höher brannte, bis hinauf in die grünen Äste und Blüten, wo Shardik lag, bildete sich ein dicker, weißer Rauch, der zum Ufer trieb und Kelderek und den hinter ihm Stehenden beinahe alle Sicht nahm.
Er würgte und rang nach Luft. Seine Augen brannten und tränten, doch er blieb weiter stehen, wo er war. »Lassen wir es dabei«, dachte er. »So ist es am besten, denn ich könnte nicht zusehen, wie die Leichen brennen.« Als er dann im Qualm einer Ohnmacht nahe war, drehte sich das schwere Floß schneller, so daß die Leichen und die ganze Seite, an der er das Feuer entzündet hatte, stromaufwärts gerichtet waren. Einige junge Fischer hatten das Haltetau an einem Kanu festgemacht und zogen das Floß zur Flußmitte hinaus.
Als es in Fahrt kam, ergoß sich ein Flammenstrom rückwärts durch den Scheiterhaufen. Das Knistern wurde zu
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