Shardik
einige Tage hier«, sagte Elleroth, »und wir werden gewiß wieder zusammentreffen, denn ich habe noch einige Pläne im Kopf – im Augenblick sind es bloß Einfälle, aber vielleicht wird etwas daraus. Mein Gott« – er reckte den Hals –, »die jungen Fischer dort draußen zerschneiden ja wirklich den Telthearna – wahrscheinlich erwärmt das die Armen in diesem bitteren nördlichen Klima. Und wer weiß? Vielleicht fangen sie sogar noch einen Fisch, ehe man sich’s versieht?«
Bald darauf nahm er Abschied, und Kelderek, den die Begegnung ermüdet, verwirrt und erregt hatte, schlief mehrere Stunden und erwachte erst wieder am Spätnachmittag.
Nach einigen Tagen fühlte er sich kräftiger, und sein verwundeter Arm schmerzte etwas weniger. Er machte Spaziergänge an den Strand und durch das Dorf, einmal ging er fast anderthalb Kilometer weit nach Norden bis zu dem offenen Land beim Durchlaß. Er hatte vordem nicht bemerkt, wie arm das Dorf war: dreißig oder vierzig Hütten und zwanzig Kanus an einem schattigen, ungesunden Stück Strand unterhalb eines bewaldeten Kammes – jenes Kammes, über den er am Morgen von Shardiks Tod heruntergehumpelt war. Es gab wenig bebautes Ackerland, die Dorfbewohner lebten hauptsächlich von Fischen, halbwilden Schweinen, Wasserhühnern und sonstigen Waldtieren, die sie jagen konnten. Es gab fast gar keinen Handel, der Ort war weitgehend isoliert, und die Ergebnisse jahrelanger Inzucht waren nur allzu sichtbar. Aber die Dorfinsassen waren recht freundlich, und er fand Gefallen daran, sie in ihren Hütten zu besuchen und mit ihnen über ihre Fertigkeiten und Bedürfnisse und die Schwierigkeiten ihres harten, primitiven Lebens zu plaudern.
Als er eines Nachmittags mit Melathys außerhalb des Dorfes spazierenging, begegneten sie einigen von den früheren Sklavenkindern, die zwischen den Bäumen müßig die Zeit verbrachten. Sie blickten Kelderek aufmerksam an, aber keines kam heran oder sprach mit ihm. Er rief sie an, ging näher hin und bemühte sich, mit ihnen wie mit Kameraden zu sprechen – denn er betrachtete sie als solche –, aber er hatte an dem Tag keinen Erfolg bei ihnen und auch noch an mehreren Tagen danach nicht. Sie unterschieden sich mit ihrem Schweigen oder den kurzen, ernsten Antworten sehr von den Kindern in Ortelga, an die er sich erinnerte. Nach und nach begriff er, daß für fast alle die Leiden bei Genshed nur die letzten in einem jämmerlichen Leben der Verlassenheit, Vernachlässigung und Mißhandlung gewesen waren. Ohne Eltern, freund- und hilflos waren sie schon versklavt gewesen, ehe sie Genshed kennenlernten.
Nach ein oder zwei Besuchen hielt er es für das beste, sich von Schreihals vorläufig fernzuhalten. Der Junge war bei Shardiks Angriff auf Genshed verletzt worden, und die Vernachlässigung seiner Wunden hatte zu einem von Delirien begleiteten Fieber geführt; man hatte bis vor wenigen Tagen erwartet, er werde daran sterben. Er war von Angst verzehrt und überzeugt, die Yeldashayer hätten ihm einen grausamen Tod zugedacht; der Anblick eines der Menschen, die er selbst mißhandelt hatte, verstärkte sein Schuldgefühl und seine panische Furcht. Kelderek überließ ihn Melathys und der Frau aus dem Dorf, konnte aber nicht umhin, sich zu fragen, was aus ihm werden solle. Würde es ihm vielleicht gelingen, zurück nach Terekenalt zu wandern, dort selbst für sich zu sorgen und einen neuen Verbrecher als Herrn zu finden? Oder würde er schon vorher, wie er es sichtlich erwartete, in Tissarn von denen getötet werden, die allen Grund hatten, ihn zu hassen?
Auch die Sarkider Abteilung blieb in der Gegend, teils in Quartieren in Tissarn, teils dort, wo er sie zuerst gesehen hatte, zur Bewachung der Zugänge zum Linshoer Durchlaß. Als er Tan-Rion nach dem Grund dafür fragte, wurde ihm erklärt, die Yeldashayer suchten immer noch die Provinz nach flüchtigen Sklavenhändlern ab, und die Sarkider Truppe bildete von der Vrakomündung in den Telthearna bis zum Durchlaß den Schlußteil des Netzes. Am nächsten Abend wurden zwei weitere Sklavenhändler einzeln aufgebracht; sie befanden sich im äußersten Stadium der Not und Erschöpfung, da sie mehrere Tage vor den vorrückenden Soldaten nach Norden geflohen waren. Am nächsten Morgen kamen die Spähtrupps selbst nach Linsho, und damit war die Jagd zu Ende.
Einige Tage später kehrte Kelderek mit Melathys von einem einstündigen Fischerausflug zurück – zu mehr war er noch nicht fähig –, da
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