Shardik
Versehen denn als Mißachtung, daß sie nichts weiter hinzufügte. Sie hatte nicht so viele Worte, wie nötig gewesen wären, für seine Information verwendet, ebenso wie sie (trotz aller Übung und Tüchtigkeit) vielleicht zu wenig Wasser in einen Eimer getan oder nicht genug Holz auf das Feuer gelegt hätte. Zumindest dessen war er sicher, und so fand er genug Selbstvertrauen, um mit Entschiedenheit zu sprechen:
»Sag mir, wer Rantzay ist und warum sie und die anderen Frauen hier sind.«
Sheldra antwortete nicht sofort, und er dachte: »Sie wird mich ignorieren.«
Dann sagte sie: »Melathys war von denen, die mit der Tuginda kamen, die einzige Priesterin. Wir anderen sind Novizen oder Dienerinnen.«
»Aber Melathys muß fast ebenso jung sein wie die anderen«, sagte Kelderek.
»Melathys ist keine Ortelganerin. Sie wurde in den Bürgerkriegen Beklas – den Heldrilerkriegen – aus einem Sklavenlager gerettet und als Kind zu den Terrassen gebracht. Sie lernte schon sehr jung viele der Mysterien.«
»Und weiter?« fragte Kelderek, als das Mädchen nichts mehr sagte.
»Als die Tuginda erfuhr, daß Shardik, unser Herr, tatsächlich wiedergekommen war und daß wir hier bleiben müssen, um ihn zu betreuen und zu heilen, ließ sie die Priesterinnen Anthred und Rantzay sowie die Mädchen kommen, die sie unterrichten. Wenn Shardik sich erholt, wird man sie für den Gesang brauchen.«
Sie verstummte wieder, dann plötzlich rief sie aus: »Die Frauen, die Shardik, unserem Herrn, vor langer Zeit dienten, brauchten ihre Tapferkeit und Entschlossenheit.«
»Das glaube ich dir«, sagte Kelderek und blickte hinunter, wo der Bär noch immer still wie eine Felsklippe neben dem Teich im Drogenschlaf lag. Doch im gleichen Augenblick erfüllte eine rückhaltlos freudige Stimmung und die Überzeugung sein Herz, daß es der Tuginda allein bestimmt gewesen war, so stark wie er die wilde und geheimnisvolle Göttlichkeit Shardiks zu empfinden. Für ihn war Shardik mehr als das Leben, ein Feuer, in dem er bereit – nein, begierig – war zu vergehen. Und darum würde Shardik ihn nicht vernichten, sondern verwandeln – das wußte er. Er bebte einen Augenblick, wie von einer Vorahnung erfaßt, in der schwülen Luft, wandte sich um und ging zurück zum Lager.
In der Nacht sprach die Tuginda wieder mit ihm; sie gingen langsam am Ufer oberhalb des Wasserfalles auf und ab, wo dieselbe flache Laterne mit dem grünlichen Binsendocht brannte, der er über den wippenden Baumstamm im Dunkeln gefolgt war. Die um einen Kopf größere Rantzay ging im gleichen Schritt mit ihnen an der anderen Seite der Tuginda, und als er sah, daß sie aus Ehrerbietung ihren langen Schritt dem der Tuginda und dem seinen anpaßte, erinnerte er sich mit einer gewissen ironischen Erheiterung, wie er sich durch die steilen Wälder hinter ihr hergetastet und mühsam vorwärts gearbeitet hatte. Sie sprachen über Shardik, und die hagere, schweigende Priesterin hörte aufmerksam zu.
»Seine Wunden sind sauber«, sagte die Tuginda. »Die Infektion ist fast ganz bekämpft. Mittel und Medikamente wirken bei einem Lebewesen, ob Mensch oder Tier, das so etwas noch nie verwendet hat, immer stark; jetzt können wir beinahe sicher sein, daß er wieder gesund wird. Hättest du ihn nur einige Stunden später gefunden, Kelderek, wäre unsere Hilfe zu spät gekommen.«
Kelderek hatte den Eindruck, daß nun endlich der Moment gekommen war, ihr die Frage zu stellen, die ihn in den letzten drei Tagen beschäftigte, die wie ein Glühwürmchen in einem dunklen Raum verschwand und wiederkehrte.
»Was sollen wir tun, Saiyett, wenn er gesund wird?«
»Das weiß ich ebensowenig wie du. Wir müssen warten, bis man es uns zeigt.«
Er fragte weiter drauflos: »Hast du denn die Absicht, ihn nach Quiso – zu den Terrassen zu bringen?«
»Ob ich die Absicht habe?« Sie blickte ihn einen Moment kühl an, wie sie Bel-ka-Trazet angesehen hatte; dann aber antwortete sie kurz und sachlich: »Du mußt verstehen, Kelderek, daß es nicht unsere Sache ist, Pläne für Shardik, unseren Herrn, zu machen und sie auszuführen. Es ist richtig, wie ich dir sagte, daß es vor langer Zeit manchmal Aufgabe der Tuginda war, Shardik heim zu den Terrassen zu bringen. Aber zu jener Zeit herrschten wir in Bekla, und alles war geordnet und sicher. Heute, in diesem Augenblick, wissen wir nichts, nur daß Shardik, unser Herr, zu seinem Volk zurückgekehrt ist. Seine Botschaft und seine Absicht können wir noch
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