Shardik
der von einer Höhe um sein Leben springt, nahm Kelderek einen Stein auf und schleuderte ihn. Er traf Bel-ka-Trazet im Nacken. Der Baron warf den Kopf zurück und sank auf die Knie, das Felsstück glitt ihm aus den Händen und fiel auf seine rechte Wade. Einige Augenblicke lang kniete er ganz still mit nach oben gerichtetem Kopf und weit geöffnetem Mund, dann befreite er bedächtig sein Bein, erhob sich und blickte Kelderek mit einer vorsätzlichen Entschlossenheit an, die noch furchterregender war als sein Zorn.
Der Jäger wußte, daß er, um nicht selbst zu sterben, nun hinuntergehen und Bel-ka-Trazet töten mußte – und das konnte er nicht tun. Mit einem leisen Aufschrei hob er die Hände an sein Gesicht und lief ziellos neben dem Bach stromaufwärts.
Nach vielleicht fünfzig Metern faßte ihn jemand am Arm. »Kelderek«, sagte die Stimme der Tuginda, »was ist geschehen?«
Keiner Antwort fähig, ebenso betäubt wie der Bär selbst, konnte er nur mit zitterndem Arm zum Wasserfall hinweisen. Sie hastete sofort davon, gefolgt von Sheldra und vier oder fünf Mädchen, die ihre Bogen trugen.
Er lauschte, konnte aber nichts hören. Immer noch ängstlich und unentschlossen, fragte er sich, ob er Bel-ka-Trazet vielleicht entgehen konnte, indem er sich im Wald versteckte und später irgendwie auf das Festland zu gelangen versuchte. Er wollte die Flucht wiederaufnehmen, da fiel ihm plötzlich ein, daß er nicht mehr, wie vor drei Tagen, allein und schutzlos dem Baron gegenüberstand. Er war Shardiks Bote, der Überbringer von Gottes Botschaft nach Quiso. Wenn die Tuginda erfuhr, was an diesem Morgen bei dem Teich versucht und verhindert worden war, würde sie nie tatenlos zulassen, daß Bel-ka-Trazet ihn tötete.
»Wir sind Werkzeuge, sie und ich«, dachte er. »Sie wird mich retten. Shardik selbst wird mich retten; nicht aus Liebe oder weil ich ihm einen Dienst erwiesen habe, sondern einfach, weil er mich braucht und es deshalb bestimmt ist, daß ich am Leben bleibe. Gott wird die Werkzeuge zertrümmern und sie selbst für Seine Zwecke neu formen. Was immer das bedeuten mag, es kann nicht meinen Tod durch Bel-ka-Trazets Hand bedeuten.«
Er erhob sich, platschte durch den Bach und begab sich zurück zum Wasserfall. Unter sich sah er den Großbaron, auf seinen Stock gestützt, in ein Gespräch mit der Tuginda vertieft. Sie blickten nicht hin, als er über ihnen auftauchte. Eines der Mädchen hatte sich bis zur Taille entblößt und stillte mit ihren Kleidern das aus der offenen Wunde des Bären fließende Blut. Die anderen standen in einiger Entfernung beisammen, schweigend und aufmerksam, wie Vieh an einem Durchgang.
»Nun, Saiyett, ich habe getan, was ich konnte«, sagte der Baron grimmig. »Ja, gewiß, ich hätte deinen Bären getötet, wenn ich gekonnt hätte, aber es sollte nicht sein.«
»Das allein sollte dich veranlassen, darüber nachzudenken«, antwortete sie.
»Meine Meinung über diese Sache werde ich nicht ändern«, sagte er. »Ich kenne deine Absichten nicht, Saiyett, aber ich werde dir sagen, was ich vorhabe. Das Feuer brachte einen großen Bären auf diese Insel. Bären sind bösartige, gefährliche Geschöpfe, und Menschen, die anders darüber denken, erleiden durch sie Schaden und Leid. Solange der Bär an diesem einsamen Ort bleibt, lohnt es sich nicht, Menschenleben zu riskieren, aber wenn er wieder ins Innere der Insel geht und Ortelga heimsucht, verspreche ich dir, ihn töten zu lassen.«
»Und ich hege keine andere Absicht, als dem Willen Gottes zu dienen«, antwortete die Tuginda.
Bel-ka-Trazet zog wieder die Schultern hoch. »Ich hoffe nur, daß sich Gottes Wille nicht zu deinem Tod auswirkt, Saiyett. Da du aber nun weißt, was ich vorhabe, mag es sein, daß du beabsichtigst, deinen Frauen zu sagen, sie sollen mich töten. Du hast mich schließlich in deiner Gewalt.«
»Da ich keine Pläne habe und du daran gehindert wurdest, Shardik, unseren Herrn, zu töten, tust du uns keinen Schaden an.« Sie wandte sich, anscheinend gleichgültig, ab, er ging ihr jedoch nach.
»Da sind noch zwei Dinge, Saiyett. Erstens wirst du mir vielleicht jetzt, da ich am Leben bleiben soll, gestatten, nach Ortelga zurückzukehren. Wenn du mir ein Kanu gibst, werde ich dafür sorgen, daß es dir zurückgebracht wird. Zweitens, was den Jäger anlangt, so sagte ich dir bereits, was er vorhin getan hat. Er ist mein Untertan, nicht der deine. Ich nehme an, du wirst mich nicht daran hindern, ihn zu suchen und zu
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