Shardik
Zwei Dinge, Kelderek, braucht ein Rebellenführer vor allem. Erstens müssen seine Anhänger von glühendem Eifer erfüllt sein – bloßer Gehorsam genügt da nicht –, und zweitens muß er selbst blitzschnell und entschlossen handeln. Für das zweite stehe ich ein. Für das erste kannst nur du sorgen.«
»Vielleicht ist es möglich, aber dazu brauche ich alle Schmiede, Wagner und Zimmerleute von Ortelga. Komm, gehen wir zur Tuginda und sprechen wir mit ihr!«
Als Ta-Kominion sich erhob, bot ihm Kelderek seinen Arm als Stütze an, doch der Baron winkte ab, stolperte ein paar Schritte, zögerte, dann legte er seinen gesunden Arm auf den Keldereks und richtete sich auf, wobei er sich kräftig stützte, bis er sein Gleichgewicht fand.
»Bist du krank?«
»Es ist nichts – nur ein wenig Fieber. Es wird vorübergehen.«
»Du mußt todmüde sein. Du solltest dich ausruhen.«
»Später.«
Kelderek führte ihn vom Feuer fort. In dem tiefen Dunkel unter den Bäumen hielten sie an, ihre Augen mußten sich erst daran gewöhnen. Eine Hand zupfte Kelderek am Ärmel, er wandte sich um.
»Soll ich dich führen, Herr? Gehst du zu unserem Herrn Shardik zurück?«
»Hast du Wache, Neelith?«
»Meine Wache ist zu Ende, Herr. Ich kam, um Sheldra zu wecken, aber nicht, wenn du mich brauchst.«
»Nein, geh schlafen. Wer bewacht unseren Herrn Shardik?«
»Zilthe, Herr.«
»Wo ist die Tuginda?«
»Dort unten, bei den Farnen.« Sie zeigte hin.
»Schläft sie?«
»Noch nicht, Herr; sie betet, schon seit mehr als einer Stunde.«
Sie verließen das Mädchen, ihre Augen gewöhnten sich an die Dunkelheit, und sie kamen leichter vorwärts. Bald wuchsen die Bäume spärlicher, und das dichte Blätterdach über ihnen öffnete sich da und dort, so daß man Wolken und Mondschein sehen konnte. Die Strahlen verschwanden und tauchten wieder zwischen den Ästen auf, wenn die Wolken ostwärts über den Mond schwebten. Die schwüle Waldeshitze, ein einziger, über ihnen liegender dichter Luftblock, schien nun allmählich von Böen und vorübergehenden kühleren Strömungen beeinflußt, gestört, aufgerissen und zerstreut zu werden, die kamen und gingen wie die ersten leichten Wellen der Hut, die an eine trockene Sandbank schlagen. Als die Blätter und das Mondlicht durch Bewegung auf die Brise von außen reagierten, regte sich die heiße, dunkle Masse auf dem Boden langsam und schwerfällig, wie ein Gewächsbett unter Wasser. Noch war es nicht durchdrungen worden, doch es spürte schon an seinen Rändern die erste Regung jener bestimmten, der Jahreszeit gemäßen Kraft, die bald soweit sein würde, es mit Blitz und Sturm zu zerreißen.
Ta-Kominion blieb stehen, hob den Kopf und schnüffelte die frischere Luft.
»Es kann nicht mehr lange dauern, bis die Regenzeit kommt.«
»Einen oder zwei Tage«, antwortete Kelderek.
»Das ist von allen Gründen der entscheidendste, daß wir uns beeilen müssen. Es heißt jetzt oder nie. In der Nässe können wir nicht marschieren oder den Kampf fortführen, und sie können es auch nicht. Sogar Bekla verhält sich zur Regenzeit still. Auf irgendeinen Angriff um diese Jahreszeit sind sie keinesfalls gefaßt. Falls sie nicht gewarnt werden, und wenn wir hinkommen, bevor der Regen einsetzt, werden wir sie völlig überraschen.«
»Haben sie keine Spione?«
»Gegen uns zu spionieren lohnt sich nicht, Mann. Ortelga? Ein Haufen Mistkäfer am Ende einer übergroßen Sandbank.«
»Aber das Risiko! Wenn es zu regnen anfängt, bevor wir kämpfen können, sind wir verloren. Bist du sicher, daß wir noch genug Zeit haben?«
»Shardik, unser Herr, wird uns Zeit schaffen.«
Als er das sagte, kamen sie unversehens zu einer breiten Felsplatte, die wie eine Mauer aus dem Boden aufragte. Sie war flach, beinahe mannsdick und erhob sich unregelmäßig bis zu etwa einer Armlänge über ihre Köpfe. In dem schwachen Licht schienen die zwei Seiten fast glatt zu sein, doch als Kelderek neugierig über eine der Flächen strich, spürte er, daß sie rauher war, als sie aussah, stellenweise brüchig und mit Moos und Flechten bewachsen. Der Felsen saß tief in dem weichen Waldboden, wie ein vor langer Zeit von einem Riesen geschleuderter und eingehämmerter Keil. Etwas weiter sahen sie einen zweiten, gleichfalls flachen, aber größeren, ein wenig geneigten und anders geformten Felsen. Als sie näher kamen, sahen sie, daß dieser auf einer Seite von einer rostroten Flechte, ähnlich wie ein getrockneter Blitzfleck, bedeckt
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