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Shardik

Titel: Shardik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Adams
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war. Und nun wanderten sie zwischen solchen hohen, seitlich abgeflachten Felsmassen umher und betrachteten sie – manche waren zaunähnlich, langgestreckt und nicht mehr als schulterhoch, andere erhoben sich zu steilen, konischen Blöcken oder waren anscheinend treppenartig geformt, wobei die Stufen oben im Dunkel verschwanden, alle aber waren zu gleichmäßiger Dicke behauen und wiesen jäh abfallende Seitenwände auf wie gigantische Axteisen, die nie am Fuß breiter wurden, um eine Grundfläche oder einen Sockel zu bilden. Dazwischen wuchsen die Farne, von denen das Mädchen gesprochen hatte – manche waren riesig wie Bäume, an denen Moos von der Unterseite der Wedel herabhing, andere klein und zart, mit litzenartigen Wedeln, deren schmale Blättchen wie Espenlaub in der stillen Luft bebten. Aus verborgenen Stellen drangen sogar um diese Jahreszeit dünne Rinnsale aus dem Torfboden, kaum genug, um irgendwo eine Pfütze zu bilden, die mehr als eine Handvoll Wasser enthielt, aber wo das Mondlicht sie traf, glänzten sie zwischen den Steinen und den feuchten, dunklen Farnzweigen. Eine kleine Brise brachte für einen Augenblick ein paar Tropfen mit, die von den seichten Wasserflächen hochgespritzt wurden.
    »Bist du noch nie hier gewesen?« fragte Ta-Kominion, als Kelderek auf den Umriß des Felsens starrte, der zwischen seinen Augen und den darüber ziehenden Wolken vornüber zu stürzen schien. »Das sind die Zweiseitigen Felsen.«
    »Ich war einmal vor vielen Jahren hier, aber damals war ich zu jung, um mich zu fragen, wie die Felsen hergebracht wurden – oder warum.«
    »Die Felsen waren von Anfang an hier, wurde mir gesagt. Aber die Männer, welche auf Quiso die Terrassen anlegten, die bearbeiteten sie – wie andere vielleicht eine Hecke schneiden oder einen Baum formen –, um die Herzen der nach Ortelga kommenden Pilger zu verwundern. Denn hier pflegten sich die Pilger zu versammeln, um über den Dammweg geführt zu werden.«
    »Dann ist dieser Ort wie Quiso unserem Herrn Shardik geweiht, und er hat uns deshalb hierhergebracht.«
    Die Tuginda stand in einiger Entfernung an einer offenen Stelle zwischen den Farnen. Sie wandte ihnen halb den Rücken zu, ihre Hände hatte sie an der Taille gefaltet und den Kopf geneigt; so blickte sie in die vom Mond beschienene Ferne. Ihre Haltung erinnerte Kelderek an den Augenblick, als sie am Rand der Grube gestanden hatte und wußte, daß kein anderer als Shardik unten zwischen den Trepsisranken lag. Sie war offensichtlich nicht in Betrachtung versunken, sondern schien eher einen Zustand erhöhter Wachsamkeit erreicht zu haben, in dem sie sich mit Entzücken ihrer ganzen Umgebung bewußt war. Doch ebenso deutlich war es, daß ihre Augen durch den Farnhain schweiften, wie sie Wasser abgesucht hätten, um – zumindest teilweise – das Leben darin, die Stille des Weihers wahrzunehmen. Einen Moment lang begriff Kelderek, daß nicht nur jetzt, sondern immer sein Auge von Spiegelungen einer Oberfläche erfüllt war, die ihr Blick unbehindert durchdrang. Sie schien in das schwüle Dunkel zu starren wie auf ein wunderbares Schauspiel, einen Tanz von Licht und Blumen. Doch immer noch hatte sie jenes direkte und kluge Auftreten, das ihn beim Terethstein auf Quiso zugleich enttäuscht und beruhigt hatte. Hätte ihr Gebet aus Worten bestanden, so hätte sie vielleicht von Leder, Holz und Brot gesprochen.
    Ta-Kominion blieb stehen, zog seinen Arm aus dem Keldereks und lehnte sich an eine der Felswände, wobei er die Stirn an den kühlen Stein drückte.
    »Ist das die Tuginda?«
    »Ja.« Er wunderte sich einen Augenblick, dann erinnerte er sich, daß Ta-Kominion sie nie ohne Maske – vielleicht sogar überhaupt nie gesehen hatte.
    »Bist du sicher?«
    Kelderek antwortete nicht.
    »Das Mädchen hat gesagt, sie bete.«
    »Jawohl, sie betet.«
    Ta-Kominion zog die Schultern hoch und richtete sich auf. Sie gingen weiter. Als sie noch ein kleines Stück von ihr entfernt waren, wandte sich die Tuginda ihnen zu. Im Mondlicht war ihr Gesicht erfüllt von der ruhigen, stillen Freude, die den dunklen Wald und die gefährliche und unsichere Umgebung von Ortelga eher einzuhüllen und zu heiligen schien, als sie übernatürlich erscheinen zu lassen. In Keldereks Augen strömte Gläubigkeit von ihr aus wie Licht von einer Laterne.
    »Sie ist es«, dachte er in einem raschen Anfall von Selbsterkenntnis, »sie, nicht ich, durch die Shardiks Macht umgestaltet und in einen Segen für uns alle

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