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Shardik

Titel: Shardik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Adams
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alles mißlingen.«
    Rantzay runzelte die Stirn und schüttelte über die schwere Aufgabe den Kopf. Sie wollte wieder sprechen, aber Kelderek kam ihr zuvor.
    »Wir müssen es versuchen, Rantzay. Wenn es Gottes Wille ist – und das ist es, wie ich weiß –, wird es dir gelingen. Shardik, unser Herr, muß um jeden Preis noch vor dem Sonnenuntergang betäubt sein.«
    In diesem Augenblick hörten sie von ferne wirre Geräusche, aber noch so leise, daß sie nur zwischen den Windstößen der Morgenbrise zu vernehmen waren. Während sie lauschten, wurde das Getöse lauter, bis sie Metallklänge und Menschenstimmen, einen Befehlsruf und Gesangsfetzen ausmachen konnten. Schließlich sahen sie im zunehmenden Licht weit unter sich eine langsam fortschreitende, staubige Linie, die wie verschüttetes Wasser auf einem gepflasterten Boden vorankroch. Die Vorhut von Ta-Kominions Heer kam das Tal herauf.
    »Vergiß deine Zweifel, Rantzay«, sagte Kelderek schnell, »und handle aus wahrem Glauben daran, daß es ausgeführt werden kann, dann wird alles gutgehen. Ich gehe Ta-Kominion entgegen. Später komme ich zurück, und du wirst mich hier finden. Sheldra und Neelith, ihr kommt mit mir.«
    Als er zwischen den beiden schweigenden Mädchen den Hügel hinunterging und der Lärm der Marschierenden zu ihnen hochstieg, fühlte er, wie seine stummen Gebete zu ihm zurückkamen. Ob er recht getan hatte oder nicht, konnte sich nur durch den Ausgang erweisen. Aber Ta-Kominion war sicher, daß es Shardiks göttliche Absicht war, das Heer zum Sieg zu führen. »Du und ich, wir werden in Bekla herrschen.« – »Und wenn der Tag kommt«, dachte er, »wird die Tuginda gewiß einsehen, daß alles zum Besten geschah.«
     

18. Rantzay
     
    Rantzay kniete am Waldrand über den nur undeutlich auf dem harten Boden sichtbaren Spuren. Sie führten nach Westen in das dichte Unterholz, und wo sie verschwanden, war die Rinde eines Kaimetbaumes hoch oben von den Klauen des Bären weißlich aufgerissen worden. Sie wußte, daß es noch keine zwei Stunden her war, seit Shardik vorsätzlich auf der Lauer gelegen und einen Mann erschlagen hatte. In dieser Stimmung konnte er wieder töten – vielleicht lag er auf der Lauer nach jenen, die ihn suchten, oder stahl sich, lautlos und auf Umwegen, durch den Wald, bis er hinter sie gelangte und aus den Verfolgern Verfolgte wurden.
    Die Anstrengung des letzten Monats kam bei der Priesterin zunehmend zum Ausdruck. Sie war die älteste der Frauen, die Shardik über Ortelga und quer über den Dammweg des Telthearnas gefolgt waren, und obwohl ihr Glaube an seine göttliche Macht nicht durch den leisesten Zweifel gestört war, hatte sie – je mehr Tage vergingen – die Härte des Lebens und die ständige Todesfurcht immer stärker empfunden. Junge Menschen riskierten ihr Leben unbekümmert – oft geradezu zum Spaß –, aber ältere, die vielleicht demütiger und selbstloser werden, werden auch vorsichtiger und mehr bedacht auf ihr eigenes Leben, jene kurze Zeit, in der sie etwas zu schaffen hoffen, das letzten Endes wert ist, Gott dargeboten zu werden. Rantzay, die Lehrerin der Novizinnen und Hüterin der Terrassen, war durch das plötzliche Kommen Shardiks wie ein Dieb in der Nacht nicht wie Melathys nichtsahnend überrascht worden. Von dem Augenblick an, als die Botschaft der Tuginda nach Quiso gelangt war, hatte sie gewußt, was von ihr erwartet wurde. Seither hatte sie Tag für Tag ihren hageren, alternden Körper über die felsigen Hügel und durch das Dickicht der Insel geschleppt, hatte gegen die eigene Furcht angekämpft, während sie manches halb hysterische Mädchen beruhigte und überredete, wieder an dem Gesang teilzunehmen; oder sie hatte selbst den Platz des Mädchens eingenommen und nochmals gespürt, wie langsam ihre Muskeln sich den wendigen, unvorhersehbaren Bewegungen des Bären anglichen. Die in Quiso unter den Bäumen am Ufer niedergeschlagene und getötete Frau, Anthred, war zuerst ihre Dienerin, dann ihre Schülerin und schließlich ihre beste Freundin gewesen. Einmal, im Traum, hatte sie sie wie ihr eigenes Kind umarmt, und sie hatten gemeinsam jenen Tag in der Regenzeit aus ihrer Erinnerung gelöscht, an dem Rantzays enttäuschter Vater, geängstigt durch ihre Wachträume, ihre Ohnmachtsanfälle und die Stimmen, die dann aus ihr sprachen und lallten, zum Großbaron gegangen war, um seine häßliche Tochter, diese heiratsunfähige Bohnenstange, dem Dienst auf den Terrassen zu übergeben.

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