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Sharon: die Frau, die zweimal starb

Sharon: die Frau, die zweimal starb

Titel: Sharon: die Frau, die zweimal starb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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Händen.
    Spiegelbildzwillinge. Sie ist eine Linkshänderin, ich bin Rechtshänderin.
    Plötzlich wurde mir etwas klar: Was mich an dem Pornovideo gestört hatte - etwas passte nicht zusammen.
    Sharon war Rechtshänderin - aber im Film - streichelnd, knetend - bevorzugte sie die Linke.
    Bei dem Sexgehampel hatte ich das Gefühl, ich hätte die Situation unter Kontrolle. Als ob ich aus meiner Person herausträte und eine neue übernähme.
    Umschalten? Versuch mit einer neuen Identität?
    Die linke Hand. Sinestra. Sinister. Böse, drohend, unheilvoll, schlimm, finster, unheimlich, link. Manche primitiven Kulturen betrachteten sie als schlecht. Böse.
    Setzt eine blonde Perücke auf und wurde ein schlechtes Mädchen, ein linkshändig-sinistres …
    Mit einem Mal störte mich etwas an der Geschichte vom Ertrinken - etwas, was mich vor sechs Jahren nicht gestört hatte, als ich ihr glauben wollte: die Einzelheiten, die lebhaften Eindrücke.
    Zu komplex für eine Dreijährige. Zu viel Erinnerung für einen Dreikäsehoch.
    Einzelheiten vorher eingeprägt. Gut vorbereitete Lüge? Hatte jemand sie dabei geführt? Ihre Erinnerungsfähigkeit verstärkt? - Etwa durch Hypnose.
    Etwa durch den Meisterhypnotiseur Paul Kruse? Den Amateurfilmemacher. Den professionellen Wundertäter.
    Jetzt war ich sicher, dass er genug gewusst hatte, um manche leeren, weißen Flecke auszufüllen. Er war mit dem Wissen gestorben. Widerwärtig, blutig, zwei andere hatte er mitgenommen.
    Ich wollte mehr denn je wissen, warum.

20
    Ich fühlte mich infiziert, Träger irgendeiner grauenhaften Krankheit, sagte meinen Flug nach San Luis ab. Schaltete den Fernseher ein und schuf so eine elektronische Beziehung zur Welt.
    Der Kruse-Mord war obenan in den Elf-Uhr-Nachrichten komplett mit Einstellungen vom Mordhaus und Fotos von Paul und Suzanne aus besseren Tagen. Das dritte Opfer wurde als Lourdes Escobar, 21, identifiziert, sie stammte aus El Salvador und hatte bei den Kruses als Dienstmädchen gearbeitet. Ihr Bild zeigte eine junge Frau mit einem offenen Gesicht, schwarzen Zöpfen und dunklen, schmelzenden Augen.
    Unschuldiges Opfer, erklärte der Reporter, senkte die Stimme, sprach von Mitgefühl. Den Bürgerkriegswirren ihrer Heimat entflohen, getrieben vom Traum nach einem besseren Leben, nur um dann den gewaltsamen Tod mitten in der verführerischen Luxuswelt der Stadt der Engel kennenzulernen …
    Diese Art Philosophiererei bedeutete, dass er nicht viel wusste.
    Ich schaltete vor und zurück zwischen den Kanälen, hungrig auf Fakten. Alle drei Nachrichtensendungen waren identisch im Stil und Mangel an Substanz: Reporter, die zu den Moderatoren statt zum Publikum redeten; laut fragten sie sich, ob einer von Kruses Patienten zum Mörder geworden sein könnte oder ob es nur einer dieser L.A.-typischen Zufallsmorde wäre.
    Ich hörte mir die Vorhersagen an, dass nun wieder ein Run auf die Waffengeschäfte losgehen würde. Der Reporter hielt eine Hand ans Ohr, sagte: »Einen Augenblick. Wir haben ein Statement von der Polizei.«
    Die Kamera schwenkte zu Cyril Trapp, der sich räusperte. Sein Hemd war TV-blau. Sein weißes Haar strahlte wie ein Stahlhelm. Unter den Scheinwerfern hatte seine gefleckte Haut die Farbe von schmutzigen Laken. Sein Schnurrbart wackelte, als er sich in die Wange biss. Er nahm Augenkontakt mit der Kamera auf und las ein vorbereitetes Statement vor, dass die gesamten Kräfte des Los Angeles Police Departments nun in Bewegung gesetzt werden sollten, um diese scheußlichen Morde zu klären. Ein festes Lächeln. Ein Händedruck. Er sagte: »Mehr können wir Ihnen im Augenblick nicht mitteilen«, und ging weg.
    Der Reporter fuhr fort: »Da habt ihr’s, Keith und Kelly. Die Livereportage vom Ort des …«
    Ich schaltete den Apparat ab. Fragte mich, warum Trapp an der Mordszene auftauchte, und wartete, dass Milo anrief und mir sagte, was war. Als er um eins noch nicht angerufen hatte, zog ich mich aus und schlüpfte unter die Bettdecke, mit trockenem Mund und so gespannt, dass mein Gaumen mir wehtat. Ich versuchte Tiefatmung, aber statt mich zu entspannen, geriet ich in einen superwachen Zustand, in dem ich mit aufgerissenen Augen dalag. Ich umarmte das Kissen, als ob es eine Frau wäre, versuchte meinen Kopf mit angenehmen Bildern zu füllen. Es kamen keine. Schließlich gegen Morgen gelang es mir einzuschlafen.
    Am nächsten Morgen rief ich Milo auf der Wache an und hörte, er sei immer noch im Urlaub. Niemand antwortete bei ihm zu

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