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Sharon: die Frau, die zweimal starb

Sharon: die Frau, die zweimal starb

Titel: Sharon: die Frau, die zweimal starb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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von Stadtlichtern, brannten die Sterne Nadellöcher durch die Schwärze.
    »Wann ist Sharon das letzte Mal zu Besuch hier gewesen?«
    »Das ist lange her«, sagte sie und ließ es wie ein Geständnis klingen. »Sobald sie einmal fort war, fand sie es sehr schmerzhaft, hierher zurückzukommen. Das mag hartherzig klingen, aber ihre Situation war besonders.«
    Wir gingen weiter. Die Fenster des Schulraums leuchteten in der Dunkelheit: butterfarbene Rechtecke. Wir waren nicht weit gegangen, hatten uns in einem Kreis bewegt.
    Ihr letzter Besuch«, sagte sie, »war 1974. Sie hatte gerade ihren Abschluss auf dem College gemacht, sie war zur Fortbildung angenommen worden und zog hinunter nach L.A. Ich habe ihr zu Ehren bei mir zu Haus eine kleine Party gegeben. Mr. Leidecker und die Jungen hatten gestärkte weiße Hemden an und die passenden Krawatten, und ich kaufte Shirlee und Jasper neue Kleidung. Sharon kam an und sah entzückend aus, bildhübsch. Sie brachte Geschenke für uns alle mit, ein handgemachtes Damespiel für Shirlee und eine Blechkiste mit schick aussehenden Buntstiften aus England für Jasper. Sie gab ihnen auch ein Promotionsfoto - wo sie voll mit Robe und Mütze und Ehrentroddeln drauf war.«
    »Ich habe es in der Baracke nicht gesehen.«
    »Nein, jemand hat es geschafft, das zu verlieren. Genau wie beim Geld. Sie haben nie gewusst, was sie hatten, wissen es immer noch nicht. Nun können Sie verstehen, warum Sharon hier nicht leben wollte. Es ist ein Wunder, dass sie überlebt hat, bevor ich sie gefunden habe.«
    »Shirlee hat mir einen Brief gezeigt. Wie oft hat sie geschrieben?«
    »Nicht regelmäßig - wozu auch? Sie können fast nicht lesen. Aber sie hat mich regelmäßig angerufen, um zu hören, wie es ihnen ging. Sie kümmerte sich wirklich um sie.«
    Sie warf das Blatt fort. »Es war so hart für sie - bitte verstehen Sie das. Sie hat erst einen Kampf ausgefochten, bevor sie von hier fortkam; ihr schlechtes Gewissen hat sie fast überwältigt. Ich sagte ihr, sie täte genau das Richtige. Was blieb ihr sonst? Ewig als Pflegerin festzusitzen?« Sie blieb stehen. »Oh, das tut mir leid. Das war gedankenlos.«
    Einen Augenblick wunderte mich ihre Verlegenheit.
    »Joan«, sagte ich.
    »Ich glaube, ihre Hingabe ist wundervoll.«
    Ich zuckte die Achseln. Dr. Nobel. »Ich fühle mich wohl bei meiner Wahl.«
    »Ja, Sharon hat davon erzählt. Und das meine ich ja. Sie musste ihre eigenen Entscheidungen treffen. Sie konnte nicht an irgendeine Laune des Schicksals gebunden sein.«
    »Wann hat sie Ihnen von Joan erzählt?«
    »Ungefähr sechs Monate nach der Graduierungsparty - ihrem ersten Jahr in der Ausbildung. Sie rief an und fragte nach Shirlee und Jasper. Aber sie schien Kummer zu haben. Ich merkte, dass irgendetwas sie beschäftigte. Ich fragte sie, ob wir uns treffen wollten, und zu meiner Überraschung sagte sie ja. Wir trafen uns zum Lunch in Redlands. Sie sah wie eine richtige Karrierefrau aus, perfekt zurechtgemacht, reif. Aber traurig - ein blauer Engel. Ich fragte sie, warum. Sie sagte, sie hätte den Mann ihrer Träume getroffen, verbrachte viel Zeit damit, Ihre Tugenden zu beschreiben. Ich sagte: ›Klingt, als ob’s perfekt ist - warum das lange Gesicht?‹ Dann erzählte sie mir von Joan, dass es ihretwegen nie etwas werden würde.«
    »Hat Sie Ihnen erzählt, wodurch Joans Probleme hervorgerufen wurden?«
    »Das mit dem Ertrinken? O ja. Wie furchtbar, und Sie als kleiner Junge sehen zu.«
    Sie berührte meinen Arm mit einer Geste des Tröstens. »Sie hat es verstanden, Alex. Sie war nicht bitter oder böse.«
    »War das alles, was ihr Sorgen machte?«
    »Das ist alles, wovon sie geredet hat.«
    »Wann haben Sie sie danach gesehen?«
    Sie biss sich auf die Lippe. »Nie mehr. Das war das letzte Mal. Sie rief weiterhin an. Aber immer seltener. Ein halbes Jahr später hörten die Anrufe auf. Aber wir bekamen Karten zu Weihnachten, Frucht-des-Monats-Packungen.« Sie brachte ein Lächeln zustande. »Alles außer den Äpfeln.«
    Mehrere Meter weiter sagte sie: »Ich habe das verstanden. Obwohl ich ihr geholfen habe, ihr altes Leben abzuwerfen, war ich immer noch ein Teil davon. Sie musste einen vollkommenen Bruch vollziehen. Jahre später, als sie ihren Doktor in Psychologie bekam, schickte sie mir eine Einladung zu ihrer Promotionsfeier. Sie hatte es bis oben hinauf geschafft, endlich fühlte sie sich sicher genug, um den alten Kontakt wiederherzustellen.«
    »Waren Sie dabei?«
    »Nein. Ich kam zu

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