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Sharon: die Frau, die zweimal starb

Sharon: die Frau, die zweimal starb

Titel: Sharon: die Frau, die zweimal starb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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Honda war. Maiskolben lagen hoch aufgestapelt. Er arbeitete langsam, aber stetig und nickte mit dem Kopf im Takt zur Musik.
    Sie küsste ihn auf den Kopf. Er warf ihr einen Mitleid heischenden Elendsblick zu. Als er mich sah, wurde aus seinem Elend Wut.
    Sie drehte die Musik leiser, die aus dem Gerät kam.
    »Was ist mit ihm ?«, fragte er.
    »Sei nicht rüde, Gabriel! Daddy hat dir etwas Besseres beigebracht.«
    Die Erwähnung seines Vaters ließ ihn wie ein kleines, verlorenes Kind aussehen. Er zog einen Schmollmund, hob einen Maiskolben hoch, riss die Hülse ab und zerfetzte träge das Häutchen.
    Seine Mutter sagte: »Dr. Delaware ist unser Gast. Bleiben Sie zum Abendessen, Doktor?«
    Ich war nicht auf Essen, sondern auf Fakten hungrig.
    »Sehr gern«, sagte ich. »Vielen Dank.«
    Gabriel murmelte etwas Feindseliges. Die Musik war immer noch laut genug, um seine Worte zu übertönen, aber der Inhalt war deutlich.
    »Räum auf und deck den Tisch, Gabriel. Vielleicht findest du beim Essen deine Manieren wieder.«
    »Ich habe gegessen, Mutter.«
    »Was denn?«
    »Hühnerpastete, den Rest von den Kartoffeln, die grünen Bohnen und das Kürbisbrot.«
    »Das ganze Kürbisbrot?«
    Kindergrinsen. »Ja.«
    »Und zum Nachtisch?«
    »Eiskrem.«
    »Hast du was für deine süße Mutti übrig gelassen?«
    Das Grinsen verschwand. »Sorry.«
    »Schon gut, Liebling«, sagte sie und zerzauste ihm das Haar. »Ich darf ohnehin nicht so viel essen. Du hast mir einen Gefallen getan.«
    Er breitete die Hände über dem Maisberg aus und sah sie flehentlich an. »Sieh mal, wie viel ich getan habe. Kann ich für heute Abend Schluss machen?«
    Sie verschränkte die Arme und versuchte streng auszusehen. »Also gut. Du machst den Rest morgen. Wie sieht’s mit den Hausaufgaben aus?«
    »Hab ich fertig.«
    »Alles?«
    »Ja, Mutti.«
    »Fein. Du bist auf Kaution entlassen.«
    Er stand auf, sah mich mit einem Gesichtsausdruck an, der besagte: ›Lass dich von mir bloß nicht allein erwischen!‹ und genoss es, seine Fingergelenke knacken zu lassen.
    »Ich habe dir gesagt, du sollst das nicht tun, Gabriel. Du machst dir die Hände kaputt.«
    »Sorry.«
    Sie küsste ihn wieder. »Nun, ab mit dir.« Er ging zur Tür, sagte: »Uh, Mom?«
    »Was ist?«
    »Kann ich in die Stadt?«
    »Das kommt darauf an, was du da tun willst.«
    »Russell und Brad haben angerufen. Da läuft ein Film im Sixplex in Redlands.«
    »Welcher?«
    »Top Gun.«
    »Wer fährt?«
    »Brad.«
    »Na gut, solange es nicht Russell mit seinem frisierten Jeep ist - einmal haarscharf dran vorbei genügt. Hast du mich verstanden, junger Mann?«
    »Ja, Mutti.«
    »Gut. Missbrauche mein Vertrauen nicht, Gabriel. Und sei bis elf wieder zu Haus.«
    »Danke.« Er stampfte hinaus, so glücklich, frei zu sein, dass er mich anzustarren vergaß.
    Das Esszimmer war groß und dunkel, und der Lavendelgeruch drang durch die tapezierten Wände. Die Möbel waren alt und aus schwarzem Walnussholz geschnitzt. Schwere Vorhänge vor den Fenstern und verblasste Familienportraits in antiken Rahmen hingen an den freien Flächen - eine Bildergeschichte des Leidecker-Clans in verschiedenen Entwicklungsphasen. Helen war einmal schön gewesen, ihr Aussehen kam durch ein großzügiges Lächeln noch mehr zur Geltung, das vielleicht nicht wiederzubeleben war. Ihre vier älteren Söhne waren Bohnenstangen mit struppigem Haar, die ihr ähnelten. Der Vater ein blondbärtiger Vorläufer Gabriels mit mächtigem Brustkorb - Gabriel hatte sein Leben als kahlköpfiger, schielender rosa Fettkloß begonnen. Sharon war auf keinem der Bilder zu sehen.
    Ich half, den Tisch mit Porzellan und Silber und Leinenservietten zu decken, sah auf dem Fußboden neben dem Porzellanschrank einen Gitarrenkasten liegen.
    »Mr. Leideckers«, sagte sie. »Ganz gleich, wie oft ich ihm gesagt habe, dass er ihn weglegen solle, schließlich lag er doch immer wieder da. Er spielte so gut, dass es mir im Grunde egal war. Nun lasse ich ihn einfach dort. Manchmal habe ich das Gefühl, dass die Musik mir am meisten fehlt.«
    Sie sah so traurig aus, dass ich sagte: »Ich spiele.«
    »Tatsächlich? Dann unbedingt.«
    Ich öffnete den Kasten. Darin lag eine alte Gibson L-5 aus den Dreißigerjahren in blauem Plüsch. Makellos, die Einlegearbeit unversehrt, das Holz frisch poliert, die Goldauflage auf dem Saitenhalter und den Mechaniken glänzte wie neu. Sie roch nach nasser Katze wie alle alten Instrumente. Ich hob sie heraus, strich über die losen Saiten

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