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Sharon: die Frau, die zweimal starb

Sharon: die Frau, die zweimal starb

Titel: Sharon: die Frau, die zweimal starb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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›Eltern‹ gesprochen hatte. »Meine ersten Jahre sind ganz verschwommen. Man hat mir zwar davon erzählt, aber es ist, als ob man eine Geschichte über jemand anderen hört. Darum ging es in der Therapie damals im Sommer. Paul versuchte, mich von der Selbstblockade zu befreien.«
    »Temporäre Verdrängung?«
    »Temporäre Verdrängung, freie Assoziation, GestaltÜbungen - all die Standardtechniken. Methoden, die ich selbst bei meinen Patienten benutzt habe. Aber nichts funktionierte. Ich konnte mich an gar nichts erinnern. Intellektuell verstand ich meine Abwehr ja, wusste, dass ich verdrängte, aber das half mir nicht hier drin.« Sie legte meine Hand auf ihren Bauch.
    »Wie weit zurück konntest du dich erinnern?«
    »An glückliche Zeiten. Shirlee und Jasper. Und Helen. Onkel Billy sagte mir, du hättest sie gestern kennengelernt. Ist sie nicht eine außergewöhnliche Persönlichkeit?«
    »Ja, das ist sie.« Gestern. Es kam mir vor, als wäre es Jahrhunderte her. »Weiß sie, dass du lebst?«
    Sie verzog das Gesicht, als ob sie etwas gestochen hätte. Hartes Zupfen am Ohrläppchen. »Onkel Billy sagte, er würde sich darum kümmern.«
    »Ich bin sicher, dass er das tun wird. Worüber hast du mit ihm bei der Party gesprochen?«
    »Über sie. Sie zwang sich mir wieder auf - kam zu jeder Tages- und Nachtzeit vorbei, weckte mich auf, schrie und fluchte oder kroch zu mir ins Bett und misshandelte mich, versuchte an meinen Brüsten zu saugen. Einmal erwischte ich sie mit einer Schere, wie sie mir das Haar abzuschnipseln versuchte. Zu anderen Zeiten kam sie von Drogen betäubt oder von ihren Daiquiris betrunken an, erbrach sich überall in der Wohnung, verlor auf dem Teppich die Kontrolle über ihre Blase. Ich ließ andauernd neue Schlösser einsetzen; sie fand immer irgendeinen Weg hinein. Sie aß Tabletten wie Konfekt.«
    Alte Einstiche zwischen den Zehen. »Spritzte sie Drogen?«
    »Das hat sie vor Jahren getan. Ich weiß nicht, vielleicht hatte sie wieder angefangen - Kokain, Speed. Mit den Jahren muss sie mindestens ein Dutzend Mal eine Überdosis eingenommen haben. Ich hatte einen von Onkel Billys Ärzten vierundzwanzig Stunden in Bereitschaft, nur um ihr den Magen auszupumpen. Am Tag der Party wurde es noch schlimmer mit ihr, und sie versuchte, mich mit herunterzuziehen, sagte immerzu, wir wären ewige Zimmergenossinnen. Ich hatte Angst, hielt’s einfach nicht mehr aus. Da bat ich Onkel Billy, sich darum zu kümmern. Sogar nach allem, was ich mit ihr durchgemacht hatte, fiel es mir schwer, ich wusste, dass man sie wegbringen würde. Dass ich dich bei der Party sah, gab mir also wirklich neuen Mut. Eine Woche davor war ich bei Paul zu Hause gewesen, und Suzanne schrieb die Einladungen mit ihrer Schönschrift. Ich sah deinen Namen auf der Liste und spürte so eine Sehnsucht nach dir.«
    Sie nahm meine Hand und führte sie zu ihrem Unterleib hinab. Ich fühlte Hitze, Schwere und das weiche Netz des Schamhaars unter der Seide.
    »Ich hoffte, dass du kommen würdest«, sagte sie. »Ich sah ein paar Mal bei den Antworten nach, ob du zugesagt hattest, aber das hattest du nicht. Als unsere Augen sich dann begegneten, konnte ich’s nicht glauben. Schicksal. Ich wollte unbedingt einen Kontakt herstellen.« Sie küsste mich auf die Wange. »Und jetzt bist du hier. Hallo, Fremdling.«
    »Hallo.« Ich saß da und erlaubte es ihr, mich noch ein paar Mal zu küssen, ihre Finger durch mein Haar streichen zu lassen, mich zu berühren. Ich ertrug es und küsste sie wieder und wusste, was Prostituierte empfinden. Auf der Stirn brach mir der Schweiß aus, und ich wischte ihn mit dem Ärmel ab.
    »Möchtest du Wasser?« Sie stand auf und goss mir etwas aus Shirlees Krug ein.
    Ich benutzte die Zeit, um einen klaren Kopf zu bekommen. Als sie zurückkehrte, fragte ich: »Hat Paul dich wegen irgendetwas anderem behandelt als wegen der Blockierung deiner Vergangenheit?«
    »Eigentlich begann es nicht als richtige Therapie - nur als klinische Beaufsichtigung, die übliche Geschichte: wie meine Gefühle und mein Kommunikationsstil meine Arbeit beeinflussten. Aber als wir da hineinkamen, konnte er sehen, dass ich … Identitätsprobleme hatte, ein geringes Selbstbewusstsein, wenig Selbstachtung. Ich kam mir unvollständig vor. Und litt an Schuldgefühlen.«
    »An Schuldgefühlen, weshalb?«
    »Aus allen möglichen Gründen. Dass ich Shirlee und Jasper verlassen hatte - ihr Liebling . Ich mochte sie wirklich gern, und es lag mir sehr an

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