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Sharon: die Frau, die zweimal starb

Sharon: die Frau, die zweimal starb

Titel: Sharon: die Frau, die zweimal starb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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aufzustehen, und fiel hin, fing an, auf die Tür zuzukriechen. Paul hob mich auf, hielt mich fest, redete mir unaufhörlich ins Ohr, sagte, es wäre alles gut, ich solle langsam und tief atmen, rhythmisch, es sei nur ein Angstanfall. Schließlich gelang es mir, aber ich fühlte mich nicht normal. All meine Sinne waren wie verstopft, und ich hatte das Gefühl zu bersten. Dann kam etwas tief aus meinem Innern heraus - ein fürchterlicher Schrei, lauter, als ich je zuvor geschrien hatte. Der Schrei von jemand anderem - er klang nicht, als ob er von mir stammte. Ich wollte mich davon distanzieren, mich in den Sessel des Therapeuten setzen und jemand anderen schreien hören. Aber ich war es selbst, und ich konnte nicht aufhören. Paul drückte mir die Hand auf den Mund. Als das nichts half, schlug er mir ins Gesicht. Hart. Es tat weh, aber es war ein gutes Gefühl, wenn du das verstehen kannst. Dass sich jemand um dich kümmert.«
    »Ich verstehe.«
    Sie sagte: »Danke«, und küsste mich wieder.
    »Was dann?«
    »Dann hielt er mich fest, bis ich ruhig war. Streckte mich auf dem Boden aus, ließ mich dort liegen und versetzte mich in tiefere Hypnose. Dann sagte er mir, ich solle die Augen aufschlagen, griff in seine Hemdtasche - ich sehe es noch vor mir, er trug ein rotes Seidenhemd - und gab mir ein Foto. Zwei kleine Mädchen. Ich und ein anderes Ich. Er sagte, ich solle auf die Rückseite sehen, er hätte etwas daraufgeschrieben. Ich sah nach: S und S. Stille Partnerinnen. Er sagte, das sei mein Katechismus, mein heilendes Mantra. Und das Foto sei meine Ikone - er hätte es für mich besorgt, und ich solle es gut aufbewahren. Wenn Zweifel oder Ängste mich überkämen, solle ich es hervorholen und mich hineinversenken. Dann sagte er, ich solle es sofort tun, und er fing an, mir von dem anderen Mädchen zu erzählen. Dass sie Sherry heiße. Sie war seit Jahren bei ihm in Behandlung, schon bevor er mich kennengelernt hatte. Als er mich zum ersten Mal erblickte, dachte er, sie sei es. Dass er uns beiden begegnet war, sei ein Wunder - wunderbares Karma -, und das Ziel seines Lebens sei seither unsere Wiedervereinigung zu einem funktionierenden Ganzen. Zu einer Familie.«
    »Wie lange hatte er dir ihre Existenz verheimlicht?«
    »Nur kurze Zeit. Er konnte mir nicht von ihr erzählen, bevor sie nicht damit einverstanden war. Sie war doch seine Patientin, und er unterlag der Schweigepflicht.«
    »Aber damit sie einverstanden war, muss er ihr von dir erzählt haben.«
    Sie runzelte die Stirn, als müsste sie ein schwieriges Problem lösen. »Das war etwas anderes. Unsere Therapie war nur ein Teil der Überwachung meiner klinischen Arbeit - er sah mich als Kollegin und nahm an, dass ich damit umgehen könnte. Irgendwo musste er doch anfangen, Alex, und den Kreislauf unterbrechen.«
    »Natürlich.Wie reagierte sie darauf, als sie von dir erfuhr?«
    »Zuerst weigerte sie sich, ihm zu glauben, sogar noch, als er ihr einen Abzug des Fotos gezeigt hatte. Sie behauptete, es wäre eine Fotomontage, und brauchte lange, bis sie die Tatsache anerkannte, dass es mich gab. Paul sagte mir, sie sei ohne Liebe aufgewachsen und es fiele ihr schwer, eine Beziehung zu knüpfen. Wenn ich jetzt zurückdenke, wird mir klar, dass er mich von Anfang an vor ihr gewarnt hat. Aber in meinem damaligen Zustand akzeptierte ich nichts Negatives. Alles, was ich wusste, war: Mein Leben hatte sich auf magische Weise verändert. Drillinge , das leere Gefäß gefüllt. «
    »Zwei von den dreien«, sagte ich.
    »Ja, einen Augenblick darauf wurde mir das klar, und ich fragte ihn nach meiner anderen Partnerin. Er sagte, wir hätten für diesmal genug erreicht, beendete die Sitzung, brauchte lange dazu. Dann reichte er mir einen Kräutertee und ein leichtes Abendessen, ließ mir von Suzanne eine Massage geben, fuhr mich zu meinem Haus und sagte mir, ich solle nun meine Identität ausprobieren.«
    »Haus?«, fragte ich. »Woher hattest du das Haus?«
    »Von Paul. Er erklärte mir, es gehöre ihm, er hätte es sonst vermietet, aber nun stehe es leer, und er wolle, dass ich darin wohnte - ich brauchte eine neue Wohnung für mein neues Leben. Das Haus war perfekt für mich, harmonisch, wie geschaffen für meine Bedürfnisse.«
    »Dasselbe mit dem Wagen?«
    »Mein kleiner Alfa - war das nicht ein hübsches Auto? Es gab letztes Jahr schließlich seinen Geist auf. Paul sagte, er hätte ihn für Suzanne gekauft, aber sie käme mit der Knüppelschaltung nicht zurecht. Er

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