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Sharon: die Frau, die zweimal starb

Sharon: die Frau, die zweimal starb

Titel: Sharon: die Frau, die zweimal starb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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streckte die Hand nach hinten und streichelte meine Kinnlade.
    »Ich glaube, ich sollte es erklären«, sagte sie. »Es ist nur etwas verwickelt.«
    Ich habe Zeit.«
    »Hast du wirklich?«, fragte sie, plötzlich aufgeregt. Sie wandte sich zu mir herum, hielt mein Gesicht zwischen den Händen. »Du musst nicht sofort wieder ins Krankenhaus?«
    »Nur lauter Meetings bis sechs. Ich muss erst um acht in der Unfallstation sein.«
    »Herrlich! Wir können eine Weile hier sitzen und zusehen, wie die Sonne untergeht. Dann fahre ich dich zurück.«
    »Du wolltest mir erklären -«, begann ich.
    Aber sie war schon hineingegangen und hatte die Stereoanlage angeschaltet. Langsame brasilianische Musik setzte ein - sanfte Gitarrenklänge und leise Trommeln.
    »Führe mich«, sagte sie, wieder auf der Terrasse. Sie schlang die Arme um mich. »Beim Tanzen soll der Mann führen.«
    Wir wiegten uns zusammen, Bauch an Bauch, Zunge an Zunge. Als die Musik endete, nahm sie mich bei der Hand und führte mich durch ein kleines Foyer in ihr Schlafzimmer.
    Wieder helle Möbel mit Glasplatten darauf, eine Stehlampe, ein niedriges, breites Bett mit einem quadratischen, hellen Kopfbrett. Darüber zwei schmale, hohe Fenster.
    Sie zog die Schuhe aus. Als ich meine wegkickte, fiel mir etwas an den Wänden auf: plumpe, kindliche Zeichnungen von Äpfeln. Bleistift und Buntstift auf einem weißlich grauen Papier. Aber unter Glas, gerahmt und fachmännisch mattiert.
    Seltsam, aber ich verwendete nicht viel Zeit darauf, mich deshalb zu wundern. Sie hatte schwarze Vorhänge vor die Fenster gezogen, und der Raum war dunkel. Ich roch ihr Parfüm, fühlte ihre hohle Hand auf meinen Leisten.
    »Komm«, sagte sie - eine körperlose Stimme -, und ihre Hände legten sich mit überraschender Kraft auf meine Schultern. Sie drückte mich aufs Bett, kam auf mich herunter und küsste mich heftig.
    Wir umarmten uns und rollten, liebten uns voll bekleidet. Sie saß mit dem Rücken am Kopfbrett, die Beine gespreizt und hochgezogen, die Hände auf den Knien. Ich kniete vor ihr wie zu einem Gebet und spießte sie auf, während ich mich am oberen Rand des Kopfbretts festhielt.
    Eine verkrampfte, rücksitzartige Position. Als es vorbei war, rutschte sie unter mir weg und sagte: »Jetzt werde ich es dir erklären. Ich bin eine Waise. Meine Eltern sind voriges Jahr gestorben.«
    Mein Herz schlug immer noch wie wild. Ich sagte: »Tut mir leid -«
    »Es waren wundervolle Menschen, Alex. Glänzende Unterhalter, sehr liebenswürdig und stets aufgeschlossen.«
    Eine leidenschaftslose Art, über ihre toten Eltern zu reden, aber die Trauer konnte viele Formen annehmen. Wichtig war, dass sie redete, sich öffnete.
    »Daddy war der Artdirector eines großen Verlags in New York«, fuhr sie fort. »Mammi war Innenarchitektin. Wir wohnten in Manhattan, an der Park Avenue, und hatten ein Haus in Palm Beach und ein anderes auf Long Island - Southampton. Ich war ihr einziges kleines Mädchen.«
    Den letzten Satz hatte sie mit besonderer Feierlichkeit ausgesprochen, als ob das Fehlen von Geschwistern eine Ehre ersten Ranges war.
    »Sie waren sehr aktiv, reisten sehr viel zu zweit. Aber es machte mir nichts aus, weil ich wusste, dass sie mich sehr liebhatten. Letztes Jahr waren sie in Spanien, in der Nähe von Mallorca, verbrachten dort ihre Ferien. Sie fuhren von einer Party nach Haus, als ihr Wagen über eine Klippe abstürzte.«
    Ich nahm sie in die Arme. Sie fühlte sich locker und entspannt an, sie hätte vom Wetter reden können. Da ich ihr Gesicht in der Dunkelheit nicht sehen konnte, horchte ich auf ein Stocken ihrer Stimme, schnelleres Atmen, irgendein Anzeichen von Kummer. Nichts.
    »Du tust mir leid, Sharon.«
    »Danke. Es war sehr hart. Deshalb wollte ich nicht über sie sprechen - ich konnte es einfach nicht bewältigen. Vom Verstand her weiß ich, das ist nicht die beste Art, um damit umzugehen; wenn es sich in einem aufstaut, führt es zu einem pathologischen Schmerz. Aber rein gefühlsmäßig konnte ich nicht darüber sprechen. Jedes Mal, wenn ich es versuchte, konnte ich’s einfach nicht.«
    »Zwinge dich nicht. Jeder Mensch ist da verschieden.«
    »Ja. Ja, das ist wahr. Ich erkläre dir nur, warum ich nicht über sie sprechen wollte. Warum ich es wirklich immer noch nicht möchte, Alex.«
    »Ich verstehe.«
    »Ich weiß.« Tiefer Kuss. »Du bist so richtig für mich, Alex.«
    Ich dachte an die verkrampfte Art, in der wir uns gerade geliebt hatten. »Wirklich?«
    »Aber

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