Sharon: die Frau, die zweimal starb
an.«
Das tat er, genau um zwei Uhr fünfundvierzig, mampfte etwas und sprach zwischen den Bissen.
»Habe ich dir schon gefehlt, Alex? Was hast du auf dem Herzen?«
»Sharon Ransom.«
»Ja, ich habe davon gelesen. Oh, Gott, ich hatte vergessen - ihr wart ja früher ein Paar, was?«
»Sie war auf Kruses Party, Larry. Ich traf sie, als du weggingst, um anzurufen. Ich habe mit ihr am Tag, bevor sie starb, geredet.«
»Oh. Machte sie einen deprimierten Eindruck?«
»Ein bisschen ›down‹. Sie sagte, es liefe nicht so gut. Aber nichts Ernstes, nichts, was die Alarmklingel ausgelöst hat. Du und ich, wir wissen allerdings, was das nützt.«
»Ja, die gute, alte professionelle Intuition. Wir könnten auch ebensogut ein spiritistisches Ouija-Brett benutzen.«
Schweigen.
»Sharon Ransom«, sagte er. »Unglaublich. Sie war damals so toll.«
»War sie auch später noch.«
»Unglaublich«, wiederholte er. »Ich habe sie seit unserer Ausbildung nicht mehr gesehen, niemals auf irgendeinem Meeting oder Kongress wiedergetroffen.«
»Sie lebte in L.A.«
»Geheimnisvolle Frau. Sie hat immer ein bisschen davon ausgestrahlt.«
»Hat sie an dem Pornoprojekt mitgearbeitet, Larry?«
»Nicht, als ich da war. Wieso?«
Ich erzählte ihm davon, dass sie Kruses Assistentin gewesen war. Und von dem Video.
»Willkommen in Hollyfick«, sagte er. Klang aber nicht so überrascht, und ich sprach ihn darauf an.
»Darum bin ich nicht überrascht, Alex. Bei jemand anderem vielleicht, aber nicht bei ihr.«
»Warum nicht?«
»Um die Wahrheit zu sagen, ich habe sie immer merkwürdig gefunden.«
»In welcher Hinsicht?«
»Nichts Auffallendes, aber etwas an ihr, was nicht richtig gestimmt war - wie ein schönes, aber schief hängendes Bild.«
»Du hast nie etwas zu mir gesagt.«
»Wenn ich dir gesagt hätte, dass ich dächte, deine Freundin wäre eine fragwürdige Persönlichkeit, hättest du mir dann ruhig zugehört und gesagt: ›Mensch, danke, Larry‹?«
»Nein.«
»Nein ist richtig. Au contraire, du wärst stocksauer gewesen, hättest wahrscheinlich nie wieder mit mir geredet. Nein, nein, Kinder. Onkel Larry hält den Mund. Erste Regel in der Therapie: Wenn du nicht sicher bist, sage nichts. Und ich war nicht sicher. Ich habe sie nicht förmlich diagnostiziert - es war nur ein Eindruck. Außerdem schienst du mit ihr Spaß zu haben, und ich sah dich nicht mit ihr verheiratet.«
»Warum?«
»Sie schien einfach nicht die Sorte zu sein, die heiratet.«
»Welche Sorte schien sie zu sein?«
»Die Sorte, die man sich nebenbei hält und deretwegen man sein Leben zerstört, Alex. Ich schätze, du warst zu clever dazu. Und ich habe mich nicht geirrt, oder?«
Pause.
Er sagte: »Lass mich dir eine Frage stellen, und nimm sie mir nicht übel: War sie gut im Bett?«
»Nicht wirklich«, sagte ich.
»Machte alles mit, aber hatte nicht wirklich Spaß dabei?« Ich war überrascht. »Wie kommst du darauf?«
»Als wir über das Video sprachen, fiel mir ein, an wen sie mich erinnerte: an die Pornoschauspielerinnen, die Kruse in seinen Filmen hatte. Ich lernte sie kennen, als ich für ihn arbeitete. Diese Mädchen strömten alle Sexappeal aus und wirkten so, als ob sie aus Steinen Blut saugen könnten. Aber du hattest das Gefühl, dass es nur eine Lackschicht war, etwas, was mit dem Make-up abkam. Sinnlichkeit gehörte nicht zu ihren Persönlichkeiten - sie wussten, wie sie ihre Gefühle von ihrem Verhalten abspalten konnten.«
»Abspalten?«, fragte ich. »Spaltung? Wie bei Borderline-Patienten, schizoiden Grenzfällen?«
»Genau. Aber versteh mich nicht falsch. Ich sage nicht, dass Sharon ein Grenzfall war, oder auch nur, dass alle Schauspielerinnen es waren. Aber sie und all diese Mädchen hatten ein paar Borderline-Eigenschaften an sich. Tippe ich da richtig?«
»Du triffst ins Schwarze«, sagte ich, verwundert über mich selbst. »Sie hatte typische Borderline-Eigenschaften. All diese Jahre habe ich das nicht kapiert.«
»Mach dich nicht verrückt, Alex. Du hast mit ihr geschlafen - littest an einem schweren Fall von Pussyblindheit. Ich würde nicht ausgerechnet von dir erwarten, dass du das bei ihr diagnostiziert hättest. Aber ich bin nicht überrascht, dass sie einen Pornofilm gemacht hat.«
Versteckte Persönlichkeitsstörung. Wenn Sharon diese Diagnose verdient hatte, war ich an einer Katastrophe vorbeigeschlittert.
Der Borderline-Patient ist der Albtraum des Therapeuten. Während meiner Ausbildung, bevor ich beschloss,
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