Sharon: die Frau, die zweimal starb
mich auf Kinder zu spezialisieren, lernte ich mehr als genug von ihnen bei meiner therapeutischen Arbeit kennen.
Therapeutische Arbeit?
Es war besser: Ich versuchte, sie zu behandeln. Denn bei Borderline-Patienten gibt es nie wirklich eine Besserung. Das Beste, was man tun kann, ist: ihnen helfen, weiter so dahinzuleben, ohne dass man sich in ihre Krankheit hineinreißen lässt.
Auf den ersten Blick wirken sie normal, manchmal sogar übernormal. Haben Jobs, bei denen sie unter Hochdruck stehen und Glanzleistungen vollbringen. Aber ihr Leben ist ein ständiger Drahtseilakt, Gesundheit und Wahnsinn liegen dicht beieinander. Sie sind unfähig, Beziehungen einzugehen, unfähig, Einsichten zu gewinnen, niemals frei von einem tiefsitzenden, wie Rost an ihnen nagenden Gefühl der eigenen Wertlosigkeit und einer Wut, die unvermeidlich in einen Akt der Selbstzerstörung überschwappt.
Sie sind die chronisch Deprimierten, entschlossen Süchtigen, zwanghaft von ihrer Umwelt Geschiedenen, die von einer emotionalen Katastrophe in die nächste stürzen. Betthopser, Leute, denen andauernd der Magen ausgepumpt werden muss, Autobahnbrückenspringer und traurig dreinschauende, auf Bänken sitzende Menschen mit genähten Pulsadern und Narben an den Armen und seelischen Wunden, die sich niemals nähen lassen. Ihre Egos sind so empfindsam wie Zuckerwatte, ihre Psychen unwiederbringlich fragmentiert wie ein Puzzlespiel, bei dem wichtige Teilstücke fehlen. Sie spielen bereitwillig, munter und eifrig Rollen, sind hervorragende Darsteller in allen anderen Rollen als ihren eigenen, sehnen sich nach Vertrautheit und intimen sexuellen Beziehungen, aber lehnen sie ab, wenn sie sie finden. Manche von ihnen zieht es zur Bühne oder zum Film. Andere agieren ihre innere Unordnung auf subtilere Weise aus.
Niemand weiß, wie oder warum ein Mensch ein Borderline-Fall wird. Die Freudianer sagen, es käme vom emotionalen Liebesentzug während der ersten beiden Lebensjahre, die biochemische Schule gibt falscher Verdrahtung die Schuld. Keine der beiden Richtungen behauptet, ihnen viel helfen zu können.
Borderline-Patienten wandern von einem Therapeuten zum nächsten, hoffen, eine magische Pille oder Kugel gegen das niederschmetternde Gefühl der Leere zu bekommen. Sie greifen zu Tabletten und Pulvern, schlucken Beruhigungsmittel und Antidepressiva, Alkohol, sniffen und spritzen, rauchen Kokain, werfen sich Gurus und Himmelsreklamefritzen an den Hals. Jedem charismatischen Fiesling, der ihnen ein schnell wirkendes Mittel gegen das Wehweh verspricht. Und dann verbringen sie eine Zeit in psychiatrischen Einrichtungen und Gefängniszellen, machen sich prima, die Behandlung und der Aufenthalt scheinen Wunder gewirkt zu haben, du schöpfst Hoffnung, und dann krach- bis zur nächsten Enttäuschung, zum nächsten Ausflug in die Selbstzerstörung. Sie ändern sich nie.
Ada Small hatte früher mal mit mir darüber gesprochen - das einzige Mal, dass ich je Wut in ihrer Stimme hörte.
Halte dich von ihnen fern, Alex, wenn du dich qualifiziert fühlen willst, kompetent sein willst. Die lassen dich jedes Mal dumm aussehen. Du arbeitest mit ihnen, und du bemühst dich um ein gutes Verhältnis und Harmonie, und das geht Monate, sogar Jahre so, und du denkst schließlich, du hast es geschafft und bist jetzt so weit, ein bisschen Einsichtarbeit zu machen.Vielleicht bekommst du auch wirklich eine Veränderung in Gang, die Einsicht scheint zu kommen, und dann hauen sie dich in die Pfanne, dann lassen sie dich im Stich. Du sitzt da und überlegst, was kannst du falsch gemacht haben, fragst dich, ob du den richtigen Beruf ergriffen hast. Dann denke dran: Es liegt nicht an dir - es liegt an ihnen. Sie können sich einen Augenblick glänzend aufführen - sagenhaft, ein voller Erfolg, und im nächsten hängen sie am Fenstersims und zappeln mit den Beinen.
Am Fenstersims - draußen auf der Klippe.
Mehr als bei jedem anderen Psychiatriepatienten muss man bei Borderlinern mit Selbstmordgefahr rechnen. Und das sind die, bei denen es ›klappt‹.
»Ich habe immer bei den Schauspielerinnen gesessen und mit ihnen geredet«, sagte Larry. »Ein paar von ihnen lernte ich ein bisschen besser kennen und fing an, sie zu verstehen - ihre Promiskuität, wie sie es machten, was sie machten. In den Augen von Borderlinern kann Promiskuität, Herumvögeln, eine halbwegs anständige Art von Anpassung sein, die perfekte Spaltung. Einen Mann für die Freundschaft, einen anderen
Weitere Kostenlose Bücher