Sharon: die Frau, die zweimal starb
Laune zu sein.
Ich klopfte an die Trennscheibe. Die Sprechstundenhilfe kam herum und ließ mich ein. Wir gingen an mehreren Untersuchungszimmern vorbei, blieben an einer Tür stehen, auf der PRIVAT stand, und klopften.
Eine Sekunde später öffnete sie sich teilweise, und Leslie schlüpfte heraus. Sie war vollkommen zurechtgemacht, jedes Haar lag an seinem Platz, sah aber hohlwangig und verängstigt aus.
»Wie viele Patienten sind da, Bea?«
»Nur ein paar. Aber eine meckert dauernd herum.«
»Sag ihnen, ich musste zu einem Notfall - ich bin, so schnell ich kann, wieder da.«
Bea ging. Leslie sagte: »Lassen Sie uns von der Tür weggehen.«
Wir gingen den Korridor hinunter. Sie lehnte sich an eine Wand, atmete aus und faltete die Hände. »Wollte, ich rauchte noch«, sagte sie. »Vielen Dank fürs Kommen.«
»Was ist los?«
»D.J. Rasmussen. Er ist tot. Seine Freundin ist drin, völlig aufgelöst. Sie kam vor einer halben Stunde, gerade nach der Mittagspause, und brach im Wartezimmer zusammen. Ich habe sie hier hereingebracht, bevor die anderen Patientinnen kamen, und bin seither mit ihr beschäftigt. Ich habe ihr eine Spritze mit Valium gegeben - zehn Milligramm. Das schien sie eine Weile zu beruhigen, aber dann fing sie wieder an zu toben. Wollen Sie immer noch helfen? Meinen Sie, Sie können irgendetwas tun, indem Sie mit ihr reden?«
»Wie ist er gestorben?«
»Carmen - die Freundin - sagte, er hätte die letzten Tage viel getrunken. Mehr als sonst. Sie hatte Angst, dass er brutal zu ihr werden könnte, weil das sein übliches Verhalten war. Aber stattdessen fing er an zu heulen, tief deprimiert fing er an zu erzählen, was er für ein böser Mensch wäre, all die schrecklichen Dinge, die er getan hätte. Sie versuchte, mit ihm zu reden, aber er wurde immer trauriger und trank weiter. Heute früh wachte sie auf und fand tausend Dollar in bar auf seinem Kopfkissen mit noch ein paar persönlichen Fotos von ihnen beiden und einem Brief, auf dem ›Goodbye‹ stand. Sie sprang aus dem Bett, sah, dass er seine Kanonen aus dem Schrank genommen hatte, aber konnte ihn nicht finden. Dann hörte sie seinen Lastwagen starten und rannte hinaus zu ihm. Der Pickup-Lastwagen war voller Kanonen, und er hatte schon wieder zu trinken angefangen - sie konnte es riechen. Sie versuchte, ihn aufzuhalten, aber er schob sie beiseite und fuhr ab. Sie stieg in ihr Auto und folgte ihm. Sie leben draußen in Newhall - offenbar gibt es da eine Menge Canyons und Serpentinen. Er fuhr mit über hundertfünfzig die engen Windungen hinauf. Sie kam nicht mit und verpasste eine Biegung. Aber sie holte ihn wieder ein und blieb hinter ihm und sah ihn über die Böschung gehen. Der Pickup überschlug sich, landete am Grund und explodierte. Genau wie im Fernsehen, sagte sie.«
Leslie kaute auf einem Fingernagel.
»Weiß die Polizei davon?«
»Ja. Sie hat sie angerufen. Sie stellten ihr ein paar Fragen, nahmen ihre Aussage auf und sagten ihr, sie solle nach Hause gehen. Nach dem, was sie erzählt hat, schienen sie nicht sehr betroffen. D.J. war überall in der Gegend als Unruhestifter bekannt, er hatte eine lange Vorstrafenliste wegen Trunkenheit am Steuer. Sie behauptet, einer der beiden hätte gemurmelt: ›Die Straßen sind jetzt sicherer.‹ Das ist alles, was ich weiß. Können Sie ihr helfen?«
»Werd’s versuchen.«
Wir betraten ihr privates Büro - klein, Bücherregale, Kiefernholzschreibtisch und zwei Stühle, hübsche Poster an den Wänden, Pflanzen, Souvenirbecher, Fotowürfel. In einem der Sessel saß eine rundliche junge Frau mit einer schlechten Hautfarbe. Sie trug ein weißes T-Shirt, braune Stretchhosen und flache Sandalen. Ihr Haar war lang und schwarz mit blonden Streifen und wirr; ihre Augen sahen rotgerändert und verquollen aus. Als sie mich erblickte, drehte sie sich weg und bedeckte das Gesicht mit den Händen.
Leslie sagte: »Carmen, das ist Dr. Delaware. Carmen Seeber.«
Ich setzte mich in den anderen Sessel. »Hallo, Carmen.«
»Carmen, Dr. Delaware ist Psychologe. Du kannst mit ihm reden.«
Und damit verließ Leslie das Zimmer.
Die junge Frau verbarg weiterhin ihr Gesicht, weder bewegte sie sich, noch sprach sie. Nach einer Weile sagte ich: »Dr. Weingarden hat mir von D.J. erzählt. Es tut mir sehr leid.«
Sie fing an zu schluchzen, ihre runden Schultern bebten.
»Kann ich irgendwas für Sie tun, Carmen? Irgendetwas, was Sie brauchen?«
Mehr Schluchzen.
»Ich habe D.J. einmal getroffen«, sagte ich.
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