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Sharon: die Frau, die zweimal starb

Sharon: die Frau, die zweimal starb

Titel: Sharon: die Frau, die zweimal starb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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»Er schien ein sehr unglücklicher Mensch zu sein.«
    Ein Tränenstrom.
    »Es muss schwer für Sie gewesen sein, mit ihm zusammenzuleben bei all der Trinkerei. Aber trotzdem fehlt er Ihnen sehr. Es ist kaum zu glauben, dass er fort ist.«
    Sie fing an zu schwanken, krallte die Hände ins Gesicht. »O Gott!«, schrie sie. »O Gott! O Gott, hilf mir! O Gott!«
    Ich klopfte ihr auf die Schulter. Es schauderte sie, aber sie rückte nicht weg.
    Wir saßen eine Weile so da, sie rief Gott um Hilfe an, ich nahm ihre Trauer in mir auf, fütterte sie mit kleinen Sympathiehäppchen. Sorgte für Taschentücher und eine Tasse Wasser, sagte ihr, nichts von allem sei ihre Schuld, sie hätte ihr Bestes getan, niemand hätte es besser machen können. Dass es okay war zu fühlen, Schmerz zu empfinden.
    Schließlich blickte sie hoch, wischte sich die Nase und sagte: »Sie sind ein netter Mann.«
    »Danke.«
    »Mein Vater war ein netter Mann. Er ist gestorben, wissen Sie.«
    »Tut mir leid.«
    »Da war ich noch’n kleines Mädchen, im Kindergarten, wissen Sie. Ich kam nach Haus mit Zeugs, was wir für Thanksgiving gemacht hatten - Papiertruthähne und Pilgerhüte, und ich sah, wie sie ihn mit der Ambulanz wegfuhren.«
    Schweigen.
    »Wie alt sind Sie, Carmen?«
    »Zwanzig.«
    »Sie haben mit zwanzig schon eine Menge durchgemacht.«
    Sie lächelte. »Schätze ich auch. Und jetzt Danny. Er war auch nett, wissen Sie, obwohl er so gemein wurde, wenn er trank. Aber im tiefsten Innern war er nett. Er hat mir keinen Ärger gemacht, wissen Sie, ist mit mir ausgegangen, hat mir alles mögliche Zeugs besorgt.«
    »Seit wann kannten Sie sich?«
    Sie dachte nach. »Seit ungefähr zwei Jahren. Ich fuhr diesen Verkaufswagen, wissen Sie. An all den Bauplätzen vorbei, und auf einem Bauplatz war Danny und baute Fensterrahmen ein.«
    Ich nickte aufmunternd.
    »Er mochte Burritos«, sagte sie. »Wissen Sie, Fleisch und Kartoffeln, aber keine Bohnen - bei Bohnen musste er pupen, und das machte ihn dann so ärgerlich, wissen Sie. Ich dachte, er wäre nett, deshalb habe ich ihm immer Kleinigkeiten geschenkt, und der Boss hat es nie gemerkt. Dann fingen wir an zusammenzuleben, wissen Sie.«
    Sie starrte mich an wie ein Kind.
    Ich lächelte.
    »Ich hab nie, nie gedacht, dass er’s tun würde, wissen Sie.«
    »Sich umbringen?«
    Sie nickte. Tränen rannen ihre pickligen Wangen hinunter. »Hatte er schon vorher mal über Selbstmord gesprochen?«
    »Wenn er trank und dann ganz vollgekifft war, wissen Sie, da legt er immer los, was das Leben für ein Mist wäre, und es wäre besser, tot zu sein, wissen Sie, er wollte es irgendwann mal machen, wollte es allen zeigen. Dann, als er sich den Rücken wehgetan hatte - die Schmerzen, wissen Sie, und keine Arbeit mehr - da hatte er eine miese Laune. Aber ich dachte nie …« Sie brach wieder zusammen.
    »Man konnte es nicht wissen, Carmen. Wenn jemand beschließt sich umzubringen, gibt es keine Möglichkeit, ihn aufzuhalten.«
    »Ja«, sagte sie zwischen dem Luftholen. »Danny konnte man nicht aufhalten, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, da gab’s nichts. Er war ein richtiger harter Hintern, wissen Sie, und stur. Ich wollte ihn heute Morgen aufhalten, aber er ging einfach weiter, als ob er mich nicht hörte, wissen Sie, voll und, wissen Sie, wie’ne Fledermaus, die aus der … Hölle rausschießt.«
    »Dr. Weingarden sagte, dass er über ein paar schlimme Dinge gesprochen hätte, die er getan hatte.«
    Sie nickte. »Er war ganz schön down. Sagte, er wäre ein armer Sünder, wissen Sie.«
    »Wissen Sie, weshalb er so zerknirscht war?«
    Achselzucken. »Er war immer bei Schlägereien dabei, wissen Sie, er verprügelte Leute in den Bars - nicht so schlimm, aber er hat ein paar Leuten wehgetan.« Sie lächelte. »Er war klein, aber hart, wissen Sie, rauflustig. Und er rauchte gern Haschisch und trank, dann wurde er richtig streitsüchtig - aber er war ein guter Typ, wissen Sie. Er hat nie was wirklich Schlimmes angestellt.«
    Ich wollte ihr soziales Umfeld kennenlernen und fragte sie nach Familienangehörigen und Freunden.
    »Ich hab keine Familie«, sagte sie. »Danny hatte auch keine. Und wir hatten keine Freunde, wissen Sie. Ich meine, mir hat es nichts ausgemacht, aber Danny mochte keine Leute - vielleicht, weil sein Papa ihn immerzu geschlagen und so wütend auf die Welt gemacht hatte, wissen Sie. Darum hat er …«
    »Hat er was?«
    »Ihn abgeschafft.«
    »Er hat seinen Vater umgebracht?«
    »Als Kind

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