Sharpes Festung
übrigens noch Ihren Tornister. Den können Sie mitnehmen.«
»Ich würde ihn lieber noch einen Tag bei Ihnen lassen«, sagte Sharpe. »Morgen werde ich beschäftigt sein.«
»Beschäftigt?«, fragte Stokes.
»Ich gehe mit Kennys Einheit in die Festung, Sir.«
»Lieber Gott!« Stokes blieb stehen und runzelte die Stirn. »Ich habe keinen Zweifel, dass wir durch die Breschen kommen, denn es sind gute. Ein bisschen steil vielleicht, aber wir sollten durchkommen. Und Gott allein weiß, was jenseits davon wartet. Ich befürchte, dass es im inneren Fort größere Hindernisse sein können, als jeder von uns erwartet.« Er schüttelte den Kopf. »Nein, ich bin nicht optimistisch, Sharpe, das bin ich wirklich nicht.«
Sharpe hielt Stokes’ Mangel an Zuversicht für ein böses Omen für den Angriff. »Ich muss in die Festung, Sir, daran lässt sich nichts ändern. Aber ich habe mich gefragt, ob Sie ein Auge auf Ahmed halten können.« Er ergriff den Jungen an der Schulter und zog ihn vor sich. »Der kleine Kerl wird darauf bestehen, mich zu begleiten«, sagte Sharpe, »aber wenn Sie auf ihn aufpassen, könnte er überleben.«
»Er kann mein Assistent sein«, sagte Stokes glücklich. »Aber, Richard, kann ich Sie nicht zu der gleichen Aufgabe überreden? Haben Sie den Befehl, Kenny zu begleiten?«
»Nein, Sir, ich habe keinen Befehl, aber ich muss in die Festung. Es ist eine persönliche Sache.«
»Es wird blutig werden«, warnte Stokes. Er ging weiter zu seinem Zelt und rief nach seinem Diener.
Sharpe schob Ahmed auf Stokes’ Zelt zu. »Du bleibst hier, Ahmed, hast du mich verstanden?«
»Ich komme mit dir«, widersetzte sich Ahmed.
»Du bleibst verdammt hier.« Sharpe zerrte an Ahmeds rotem Rock. »Du bist jetzt ein Soldat. Das bedeutet, dass du Befehle ausführen musst, verstanden? Du gehorchst. Und ich befehle dir, hier zu bleiben.«
Der Junge blickte finster drein, doch er schien den Befehl hinzunehmen, und Stokes zeigte ihm, wo er schlafen konnte. Danach unterhielten sich die beiden Männer, das heißt, Sharpe hörte Stokes zu, der begeistert schilderte, dass er feinen Quarz entdeckt hatte, als das Gegenfeuer des Feindes die Felsen aufgerissen hatte. Schließlich begann der Major zu gähnen. Sharpe trank seinen Tee aus und wünschte Stokes eine gute Nacht. Er vergewisserte sich, dass Ahmed eingeschlafen war, und ging in die Nacht hinaus.
Er fand noch keinen Schlaf. Er wünschte, Clare wäre nicht zu Eli Lockhart gegangen, obwohl er sich für den Kavalleristen freute, dass sie ihn erhört hatte. Durch ihre Abwesenheit fühlte er sich sehr einsam. Er ging zum Rand der Felsen und starrte zur Festung hinüber. Ein paar Lichter zeigten sich in Gawilgarh, und alle zwanzig Minuten wurde die felsige Landenge vom gewaltigen Mündungsblitz des Belagerungsgeschützes erhellt. Die Kugel krachte gegen die Mauer, doch dann war es wieder still bis auf den fernen Gesang im Lager, das Summen von Insekten und das Säuseln des Windes an den Felsen.
Einmal, als wieder das Donnern des großen Geschützes die Stille zerriss, sah Sharpe verschwommen die drei Breschen in den beiden Mauern. Und warum will ich unbedingt in diese Todesfalle gehen?, fragte er sich. Ist es Rachsucht? Nur um Hakeswill und Dodd zu finden? Er könnte abwarten, bis die Angreifer ihre Arbeit erledigt hatten, und dann unbehindert in die Festung schlendern, doch diesen einfachen Weg würde er nicht wählen. Er würde sich mit Kennys Männern seinen Weg in die Festung Gawilgarh erkämpfen, und der Grund war Stolz. Er wollte nicht als Offizier versagen. Das 74. hatte ihn abgewiesen, und die Schützen kannten ihn noch nicht. So musste Sharpe einen guten Ruf nach England mitnehmen, wenn er eine Chance auf Erfolg haben wollte.
Also musste er morgen kämpfen. Oder sonst musste er sein Offizierspatent verkaufen und die Armee verlassen. Daran hatte er schon gedacht, doch er wollte die Uniform behalten. Es gefiel ihm bei der Armee, er fand, dass er seinen Job bei der Armee, die Feinde des Königs zu bekämpfen, gut machte. Morgen würde er es wieder tun und somit demonstrieren, dass er die rote Schärpe und den Säbel verdiente.
Am Morgen, wenn die Trommeln schlugen und die feindlichen Geschütze donnerten, würde Sharpe in die Festung Gawilgarh gehen.
Dieses E-Book wurde von der "Verlagsgruppe Weltbild GmbH" generiert. ©2011
KAPITEL 9
Im Morgengrauen zog Nebel in Deogaum durch die nassen Bäume, ballte sich in den Tälern und senkte sich auf die Zelte.
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