Sharpes Festung
Säulengang. Irgendwo draußen wieherte ein Pferd. Männer protestierten lautstark, als Neuankömmlinge sich in den Tempel drängten, doch schließlich endete der Tumult und der große Mann trat an den Rand der steinernen Plattform, auf dem das Grabmal stand.
Er sprach lange, und erntete immer wieder zustimmende Laute. Schließlich richteten die Zuschauer ihre Blicke auf Sharpe, und einige spuckten in seine Richtung. Sharpe starrte sie verdrossen an. Sie genossen eine seltene Belustigung am Abend, nahm er an. Ein gefangen genommener Engländer, der vor ihnen hingerichtet wurde, und Sharpe konnte ihnen nicht verdenken, dass sie voller Vorfreude auf das Kommende waren. Aber er wollte verdammt sein, wenn er es ihnen leicht machte. Er würde nicht kampflos sterben. Er würde sich zu wehren wissen. Vielleicht konnte er nicht viel tun, aber genug Schaden anrichten, sodass die jettis diese Nacht, in der sie einen Rotrock töten durften, in Erinnerung behalten würden.
Der große Mann beendete seine Ansprache, dann humpelte er die kurze Treppe hinunter und näherte sich Sharpe. Seine Haltung war würdevoll, wie die eines Mannes, der sich für sehr bedeutend hält. Er blieb ein paar Schritte vor Sharpe stehen und sein Gesicht verzog sich höhnisch, als er den bedauernswerten Zustand des Engländers sah.
»Mein Name«, sagte er auf Englisch, »ist Jama.«
Sharpe schwieg.
»Du hast meinen Bruder getötet«, sagte Jama.
»Ich habe viele Männer getötet«, sagte Sharpe, und seine Stimme klang so heiser und schwach, dass sie kaum über die kurze Distanz zu Jama zu verstehen war. Er räusperte sich und wiederholte: »Ich habe viele Männer töten müssen.«
»Und Naig war einer davon«, sagte Jama.
»Er hatte den Tod verdient«, sagte Sharpe.
Jama grinste höhnisch bei dieser Antwort. »Wenn mein Bruder den Tod verdient hatte, dann hatten ihn auch die Briten verdient, die mit ihm Handel trieben.«
Das stimmt vermutlich, dachte Sharpe, sagte es jedoch nicht. Er konnte hinter der Menge einige spitz zulaufende Helme sehen und nahm an, dass einige der Marathen-Reiter, die immer noch über die Dekkan-Ebene streiften, gekommen waren, um seinem Tod beizuwohnen. Vielleicht dieselben Marathen, die die zweitausend verschwundenen Musketen gekauft hatten. Musketen, die Hakeswill ihnen geliefert und für die Torrance gelogen hatte, um den Diebstahl zu vertuschen.
»Jetzt wirst du also sterben«, sagte Jama.
Sharpe zuckte mit den Schultern. Lauf nach rechts und schnapp dir die nächste Muskete, dachte er. Aber er wusste, dass er durch die Schmerzen zu langsam sein würde. Außerdem würden die Männer aus dem Säulengang herunterspringen und ihn überwältigen. Er musste trotzdem etwas unternehmen. Irgendetwas! Er konnte sich nicht einfach umbringen lassen!
»Du wirst langsam sterben«, sagte Jama, »damit die Blutschuld meiner Familie beglichen wird.«
»Du willst jemanden sterben sehen als Ausgleich für den Tod deines Bruders?«, fragte Sharpe.
»Genau«, sagte Jama ernst.
»Dann töte eine Ratte«, sagte Sharpe, »oder erschlage eine Kröte. Dein Bruder hatte den Tod verdient, er war ein Dieb.«
»Und ihr Engländer seid gekommen, um ganz Indien zu stehlen«, erwiderte Jama gleichmütig. Er betrachtete wieder Sharpes Wunden, und der Anblick schien ihn zu befriedigen. »Bald wirst du mich um Gnade anflehen«, sagte er. »Weißt du, was jettis sind?«
Sharpe nickte.
»Prithviraj«, sagte Jama und wies auf den größeren jetti , der sich vor dem kleinen Altar verneigte, »hat einen Mann mit bloßen Händen kastriert. Er wird das und noch mehr bei dir tun, denn ich habe diesen Leuten versprochen, dass sie heute Nacht den Tod von Dutzenden Körperteilen sehen. Du wirst in Stücke gerissen, Engländer, aber du wirst leben, während dein Körper auseinander genommen wird, denn das ist die Kunst eines jettis : langsam zu töten, ohne Waffen, einen Menschen Stück für Stück zu zerreißen, und erst wenn deine Schreie den Schmerz über den Tod meines Bruders gemildert haben, werde ich dir Gnade erweisen.« Jama bedachte Sharpe mit einem letzten verächtlichen Blick, dann wandte er sich um und ging zur Treppe des Grabmals zurück.
Prithviraj neigte sich vor und läutete mit einem Glöckchen, um die Aufmerksamkeit der Götter auf sich zu ziehen, dann verschränkte er die Hände und verneigte sich ein letztes Mal. Der zweite jetti , der mit dem Speer, beobachtete Sharpe mit ausdruckslosem Gesicht.
Sharpe zwang sich, aufzustehen.
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