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Sharpes Feuerprobe

Titel: Sharpes Feuerprobe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Cornwell
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auf seinem Medaillon eingraviert war. Er grinste. Das war etwas, das er Mary zeigen musste.
    Er ging in den Tempel, doch Mary war noch nicht eingetroffen. Sharpe fand eine schattige Stelle in einer Nische an der Seite des offenen Hofes, von wo aus er einen halb nackten Mann mit einem weißen Leinenstreifen um den kahlen Kopf sah. Der Mann saß mit übereinander geschlagenen Beinen vor einer Götzenstatue, die einen Menschenkörper und einen Affenkopf hatte und rot, grün und gelb angemalt war. Eine andere Gottheit, diese mit sieben Kobraköpfen, stand in einer Nische, die mit verwelkenden Blumen übersät war.
    Der Mann mit den übereinander geschlagenen Beinen rührte sich nicht. Sharpe hätte schwören können, dass er nicht einmal blinzelte, auch nicht, als zwei andere Andächtige in den Tempel kamen. Eine davon war eine große, schlanke Frau in blassgrünem Sari mit einem Diamanten, der an der Seite ihrer Nase glänzte. Ihr Begleiter war ein großer Mann mit einem tigergestreiften Waffenrock Tippus. Eine Muskete hing von seiner Schulter, und der Säbel an seiner Seite hatte einen silbernen Griff. Er war ein gut aussehender Mann, ein passender Gefährte für die elegante Frau, die zu einer dritten Gottheit ging, diesmal zu einer sitzenden Göttin mit vier Paar Armen. Die Frau berührte mit ihren gefalteten Händen ihre Stirn, verneigte sich leicht und griff dann zu einer winzigen Handglocke und läutete sie, um die Aufmerksamkeit der Göttin zu gewinnen.
    Erst in diesem Augenblick erkannte Sharpe sie.
    »Mary!«, rief er, und sie fuhr herum und sah Sharpe im tiefen Schatten an der Seite des Heiligtums stehen. Der Ausdruck des Entsetzens auf Marys Gesicht ließ Sharpe stutzen. Der große junge Soldat hatte eine Hand auf den Griff seines Schwertes gelegt. »Mary!«, rief Sharpe wieder. »Mädchen!«
    »Bruder!«, rief Mary laut, und dann, fast in Panik, wiederholte sie das Wort. »Bruder!«
    Sharpe grinste, tarnte seine Verwirrung. Dann sah er, dass Tränen in Marys Augen schimmerten. »Ist alles in Ordnung, Mädchen?«, fragte er besorgt.
    »Mir geht es sehr gut«, sagte sie und fügte dann mit angespannter Stimme hinzu: »Bruder.«
    Sharpe blickte zu dem indischen Soldaten und sah, dass der Mann stark beschützerisch wirkte.
    »Ist das der General?«, fragte er Mary.
    »Nein. Das ist Kunwar Singh«, sagte Mary, und sie drehte sich um und gestikulierte zu dem Soldaten, und Sharpe sah einen Ausdruck von Zärtlichkeit auf ihrem Gesicht, und plötzlich verstand er, was geschehen war.
    »Spricht er Englisch?«, fragte Sharpe und fügte mit einem Grinsen hinzu: »Schwester?«
    Mary bedachte ihn mit einem Blick purer Erleichterung.
    »Etwas«, sagte sie. »Wie geht es dir? Was macht dein Rücken?«
    »Heilt prima. Dieser indische Arzt ist ein Zauberer. Ich spüre die Verletzung noch dann und wann, aber nicht so schlimm wie zuvor. Nein, mir geht es prima. Ich habe sogar eine Medaille bekommen, sieh nur!« Er hielt Mary das goldene Medaillon hin. »Aber ich muss mit dir unter vier Augen sprechen«, fügte er hinzu, als sie sich zu ihm neigte, um einen Blick auf das Medaillon zu werfen. »Es ist dringend, Liebling«, flüsterte er.
    Mary betastete das Gold und sah dann zu Sharpe auf. »Es tut mir leid, Richard«, flüsterte sie.
    »Es gibt nichts, was dir leidtun müsste, Mädchen«, sagte Sharpe, und das war die Wahrheit, denn seit er Mary in ihrem Sari gesehen hatte, war ihm klar gewesen, dass sie nicht für ihn bestimmt war. Sie sah zu kultiviert, zu elegant aus, und die Frauen von gemeinen Soldaten waren das für gewöhnlich nicht. »Du und er, wie?«, fragte er und blickte zu dem schlanken und gut aussehenden Kunwar Singh.
    Mary nickte kaum wahrnehmbar.
    »Gut für Sie«, rief Sharpe zu dem Inder und lächelte ihn an. »Gutes Mädchen, meine Schwester!«
    »Halbschwester«, zischte Mary.
    »Entscheide dich, Mädchen, verdammt noch mal.«
    »Und ich habe einen indischen Namen angenommen«, sagte sie. »Aruna.«
    »Klingt gut. Aruna.« Sharpe lächelte. »Gefällt mir.«
    »Es war der Name meiner Mutter«, erklärte Mary. Dann verfiel sie in peinliches Schweigen. Sie blickte zu dem Mann mit dem weißen Streifen um den Kopf, dann berührte sie Sharpe sanft am Ellbogen und führte ihn wieder in die schattige Nische, wo er gewartet hatte. Ein Sims führte um die Nische, und Mary setzte sich darauf, legte die Hände in den Schoß und sah Sharpe an. Kunwar Singh beobachtete sie, hielt sich jedoch fern.
    Sekundenlang wussten

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