Sharpes Feuerprobe
öffneten das Tor, doch soweit Sharpe wusste, gab es keine Tore im westlichen Wall der Stadt, die auf den Südlichen Kaveri blickten. Er wusste vom Bangalore-Tor im Osten, dem Maisur-Tor im Süden und dem viel kleineren Wassertor im Norden, aber nie hatte jemals jemand von einem vierten Tor gesprochen, doch hier war es. Hier war einst offenbar ein anderes Wassertor gewesen, ein Tor, das sich zum Südlichen Kaveri geöffnet hatte, und vermutlich war dieser Zugang zur Stadt vor langer Zeit verbarrikadiert und unsichtbar gemacht worden, doch jetzt beobachtete Sharpe, dass das Tor geöffnet wurde. Impulsiv wandte er sich um und folgte dem Ochsenkarren die Gasse hinunter.
Der Karren verschwand im tiefen Schatten des Torwegs, und die beiden Wachtposten zogen die Flügel des großen Doppeltors zu. Dann sahen sie das glänzende goldene Medaillon auf Sharpes Brust, und vielleicht überzeugte sie dieses seltene Geschenk, dass er zum Eintreten befugt war.
»Ich suche nach Colonel Gudin!«, erklärte Sharpe frech, als einer der beiden Männer nervös öffnete. »Habe eine Botschaft für den Colonel.«
Dann war er durch das Tor und sah, dass es überhaupt kein Durchgang aus der Stadt war, sondern ein ziemlich langer Tunnel, der nur zu einer steinernen Wand führte. Es war einst ein Torweg gewesen, so viel war offensichtlich, aber irgendwann war das äußere Tor zugemauert worden, und jetzt enthielt dieser finstere Tunnel aufeinander gestapelte Fässer. Es mussten Pulverfässer sein, denn Sharpe konnte die Luntenstücke sehen, die aus ihren Spundlöchern ragten. Die ganze nördliche Seite des Tunnels war mit Pulverfässern gefüllt. Nur die nördliche Seite.
Ein Offizier sah ihn und rief ärgerlich etwas. Sharpe spielte den Unschuldigen.
»Colonel Gudin?«, fragte er. »Haben Sie Colonel Gudin gesehen, Sahib?«
Der indische Offizier rannte auf ihn zu und zog dabei eine Pistole, doch dann, im schwachen Licht des Tunnels, bemerkte er die goldene Medaille auf Sharpes Brust und schob die Pistole zurück in sein Koppel.
»Gudin?«, fragte er Sharpe.
Sharpe lächelte begierig. »Er ist mein Offizier, Sahib. Ich habe eine Botschaft für ihn.«
Der Inder verstand nicht, aber er kannte die Bedeutung der Medaille, und verhielt sich deshalb respektvoll. Aber er blieb standhaft. Er wies auf Sharpe und dann zum Tor und gestikulierte, dass er den Tunnel verlassen sollte.
»Gudin?«, fragte Sharpe.
Der Inder schüttelte den Kopf, und Sharpe verließ mit einem Grinsen den Tunnel.
Jetzt war Mary vergessen, denn er begann zu begreifen, was hier so geheim gehalten wurde. Er ging durch den Durchgang zurück, und an seinem Ende blickte er den Wall hinauf und fragte sich, warum keine Kanoniere bei den Geschützen standen, warum keine Wachen bei den Schießscharten und keine Flaggen über den Zinnen zu sehen waren. Überall sonst auf den Wällen waren Fahnen und Posten und Artilleristen zu sehen, jedoch nicht hier.
Er wartete, bis die Tore des Tunnels geschlossen waren, und dann eilte er die nahe Rampe hinauf, die zum Schützenauftritt des Walls führte. Der Wall war aus roten Ziegeln errichtet und nicht annähernd so gewaltig wie der südliche, der aus massiven Granitblöcken bestand. Und er war nicht mehr als zwanzig Fuß dick, während der Tunnel fast hundert Fuß lang gewesen war. Er rannte auf die Brustwehr hinauf, wo die großen Geschütze warteten, und als er den Schützenauftritt erreichte, verstand er alles.
Denn hier gab es nicht nur einen Wall, sondern zwei. Der eine, an dem er stand, war der innere Wall, und er war neu, so neu, dass einige Stellen immer noch mit Gerüsten und Stricken versehen waren, wo sich die Arbeiter des Tippus beeilten, die Arbeit zu vollenden. Und sechzig Fuß entfernt, jenseits eines leeren inneren Wassergrabens, befand sich der äußere Wall, wo die Fahnen hingen und die Kanoniere waren und Posten Wache standen. Dieser alte äußere Wall war ein paar Fuß höher als dieser neue innere, doch gegenüber von Sharpe und nahe bei der Stelle, wo er den mit Pulverfässern gefüllten Tunnel gesehen hatte, war dieser alte Wall oben eingestürzt.
Dieser Verfall würde sicher als Anhaltspunkt für die Briten dienen und sie verlocken, mit ihren Geschützen auf dieses Stück verfallener Mauer zu zielen, mit der Gewissheit, dass sie mit ihrem Bombardement bald die Zerstörung beendet haben würden. Die großen 18- und 24-Pfünder-Geschütze würden donnern, bis der alte äußere Wall zusammenbrechen würde, sodass
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