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Sharpes Flucht

Sharpes Flucht

Titel: Sharpes Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Cornwell
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den Abwasserkanal zu gehen wäre leichter«, knurrte er.
    »Wenn du möchtest, Pat. Wir treffen uns dann dort.«
    »Nun bin ich schon so weit gekommen«, murmelte Harper und zuckte zusammen, als er sah, wie Sharpe zum Sprung ansetzte. Er folgte ihm, kam heil drüben an, und die beiden kletterten das nächste Dach hinauf und stiegen an seinem First entlang, bis sie vor der Straße ankamen, die den Häuserblock von jenem Gebäude trennte, das Sharpe für das Warenhaus hielt.
    Sharpe ließ sich hinunter zur Brüstung gleiten, dann spähte er hinüber. Augenblicklich zog er sich zurück. »Dragoner«, sagte er.
    »Wie viele?«
    »Ein Dutzend? Zwanzig?« Jetzt war er sicher, dass er das Lagerhaus vor sich hatte. Er hatte die großen Doppeltüren gesehen, von denen eine angelehnt stand, und vom Dachfirst aus hatte er gerade so die Dachfenster des Lagerhauses erkennen können, das ein wenig höher am Hang stand. Die Straße war zu breit, um sie zu überspringen, sie hatten also keine Möglichkeit, diese Fenster vom Dach aus zu erreichen. Dann spähte Sharpe noch einmal hinüber und sah, dass die Dragoner das Gebäude nicht plünderten. Jeder andere Franzose in der Stadt schien außer Rand und Band, aber diese Dragoner saßen unbewegt auf ihren Pferden, hatten ihre Säbel gezogen, und allmählich wurde ihm klar, dass sie als Wachtposten für das Lagerhaus eingesetzt worden sein mussten. Sie schickten französische Infanteristen ihres Weges, wobei sie die flache Seite ihrer Säbelklingen einsetzten, falls jemand zu dreist wurde. »Sie haben die verdammten Lebensmittel, Pat.«
    »Sie sollen meinetwegen damit selig werden.«
    »Nein, das sollen sie verdammt noch mal nicht«, erwiderte Sharpe hitzig.
    »Und wie im Namen des Erlösers sollen wir das verhindern?«
    »Ich bin nicht sicher«, antwortete Sharpe. Er wusste, dass sie die Lebensmittel vernichten mussten, wenn sie die Franzosen besiegen wollten, aber einen Augenblick lang war er versucht, die ganze Sache fallen zu lassen. Zur Hölle damit. Die Armee hatte ihn schlecht behandelt, weshalb zum Teufel sollte er sich darum scheren? Aber er scherte sich darum, und er wollte verdammt sein, ehe er erlaubte, dass Ferragus den Franzosen half, den Krieg zu gewinnen.
    Der Lärm in der Stadt schwoll an, Lärm von Geschrei, Unordnung und Chaos, und die dauernden Musketenschüsse jagten Hunderte von Tauben in die Luft. Er schaute ein drittes Mal nach den Dragonern und sah, dass sie zwei Linien gebildet hatten, um die Enden der kleinen Straße zu blockieren und die französischen Infanteristen von dem Warenhaus fernzuhalten. Scharen von Männern beschimpften die Dragoner, und Sharpe vermutete, dass die Anwesenheit der Reiter das Gerücht aufgebracht hatte, es befände sich Essbares in dieser Straße. Die Infanteristen, die immer hungriger geworden waren, während sie durch leer gefegtes Land marschierten, waren jetzt vermutlich vor Hunger außer sich. »Ich bin nicht sicher«, sagte Sharpe, »aber ich habe eine Idee.«
    »Eine Idee wofür, Sir?«
    »Um diese Bastarde weiter hungern zu lassen«, antwortete Sharpe.
    Das war es, was Wellington wollte, also würde Sharpe dafür sorgen, dass Seine Lordschaft es bekam.
    Er würde die Bastarde hungern lassen.

KAPITEL 9
    Der oberste Versorgungsoffizier kam, um die Lebensmittel zu inspizieren. Er war ein kleiner Mann namens Laurent Poquelin, kurz von Wuchs, stämmig und so kahl wie eine Eierschale, dafür aber mit einem langen Schnurrbart, den er nervös zwirbelte, wann immer er sich Sorgen machte. Und in den vergangenen Wochen hatte er sich häufig Sorgen gemacht, denn die l’Armée de Portugal hatte sich in einem Land wiedergefunden, das sämtlicher Lebensmittel beraubt worden war, und er war dafür verantwortlich, dass sechzigtausend Mann zu essen bekamen, dazu kamen siebzehntausend Kavalleriepferde und weitere dreitausend Pferde und Maultiere. In einem verwüsteten Land ließ sich das nicht bewerkstelligen, in einem Land, in dem jede Obstplantage ihrer Früchte beraubt worden war, in dem die Scheunen geleert, die Vorratskammern zerstört, die Brunnen vergiftet, das Vieh von dannen getrieben, die Mühlen auseinandergenommen und die Backöfen zerschmettert worden waren. Der Kaiser persönlich hätte es nicht bewerkstelligen können! Nicht einmal sämtliche Mächte des Himmels hätten es fertiggebracht, aber von Poquelin erwartete man, dass er Wunder wirkte, und seine Schnurrbartspitzen waren mittlerweile ebenso zerfranst wie seine

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