Sharpes Flucht
getragen, aber nach ein oder zwei Meilen Marsch ändert man seine Meinung. Dann fängt man an, Dinge wegzuwerfen. Am Rand der Straße nach Süden werden Hunderte von Dingen liegen.«
Sie blickte an ihrem Kleid hinab, dass zerrissen, schmutzig und zerknittert war. »Ich sehe furchtbar aus.«
»Du siehst wundervoll aus«, sagte Sharpe, dann drehte er sich um, weil er vom unteren Stockwerk her zweimal schnelles Tappen gehört hatte. Er legte den Finger an seine Lippen und bewegte sich so leise, wie er konnte, zurück zur Treppe. Harper stand an deren Fuß und hielt drei Finger in die Höhe, dann wies er die nächste Treppe hinunter. Es waren also drei Leute im Haus. Harper blickte die Stufen hinab, dann hielt er vier Finger in die Höhe und bewegte seine Hand hin und her, um Sharpe wissen zu lassen, dass es auch mehr als drei sein könnten. Plünderer vermutlich. Die Franzosen waren einmal durch Coimbra gezogen, aber es mochte noch Beute zu finden sein, und genug Leute waren bereit, aus der Unterstadt heraufzukommen, um sich in der Oberstadt zu bereichern.
Sharpe hatte die oberste Treppe hinter sich gebracht. Vicente stand hinter Harper, sein Gewehr war nach unten in die Halle gerichtet, während Joana mit geschulterter Muskete in der Tür des Schlafzimmers stand. Er konnte jetzt Stimmen hören. Jemand war offenbar wütend. Sharpe spannte das Gewehr und zuckte bei dem leisen Geräusch, das der Mechanismus verursachte, zusammen. Aber dort unten hörte ihn niemand. Er wies auf sich selbst, dann die Treppe hinunter, und Harper nickte.
Sharpe ging diese Treppe noch langsamer hinab. Sie waren mit Bruchstücken der Balustrade und Kristallscherben übersät, sodass er bei jedem Schritt Mühe hatte, einen freien Platz zum Auftreten zu finden, und anschließend verlagerte er behutsam sein Gewicht. Er war die Treppe zur Hälfte hinuntergestiegen, als er die Schritte hörte, die aus dem Gang am Fuß der Treppe kamen. Er ging in die Hocke, legte das Gewehr an, und gerade in diesem Augenblick kam der Mann in Sicht, und fassungslos starrte Sharpe ihn an. Er feuerte das Gewehr nicht ab. Falls Ferragus zurückgekommen war, wollte Sharpe ihn nicht warnen, daher gab er dem Mann mit einer Geste zu verstehen, dass er sich auf den Boden werfen sollte, doch stattdessen sprang der Mann zur Seite und stieß eine Warnung aus.
Harper feuerte, die Kugel sauste über Sharpes Schulter hinweg und traf den Mann in den Rücken. Er brach auf dem Boden des Korridors zusammen. Sharpe nahm nun vier Stufen auf einmal. Der verwundete Mann kroch in den Gang. Sharpe trat ihm in den Rücken, sprang über ihn hinweg, und ein zweiter Mann tauchte aus dem dunklen Eingang zur Küche auf. Sharpe schoss, und die Flamme des Gewehrs glomm hell im trüben Licht des Gangs auf, ehe dieser sich mit Rauch füllte. Auch Harper war jetzt unten, die Salvenbüchse in der Hand. Sharpe brachte die paar Stufen zur Küche hinter sich, fand am Fuß der Treppe eine Leiche, rannte zur Hintertür und warf sich zurück, als ein Mann vom Hof her auf ihn feuerte.
Harper lief zur Hintertür, hielt nicht inne, sondern hob lediglich seine leer geschossene Waffe, und das genügte als Drohung, um jeden, der dort warten mochte, in die Flucht zu schlagen. Sharpe lud nach. Joana kam in die Küche, und er nahm ihre Muskete, gab ihr das halb geladene Gewehr und rannte zurück in den Durchgang. Er sprang über den Toten und den Verwundeten, dann drängte er sich in den Salon, weil dessen Fenster auf den Hof hinausging. Das Fenster, dessen Scherben an den Kanten glänzten, war hochgeschoben. Sharpe rannte hin, konnte aber niemanden sehen. »Der Hof ist leer!«, rief er Harper zu.
Harper tauchte in der Küchentür auf, überquerte den Hof und schloss das Tor. »Plünderer?«, fragte er Sharpe.
»Vermutlich.« Sharpe wünschte, er hätte nicht geschossen. Der pure Anblick der Gewehre hätte genügt, um Plünderer zu vertreiben, aber er war offensichtlich nervös gewesen und hatte nun einen Mann getötet, der es aller Wahrscheinlichkeit nach nicht verdient hatte. »Verdammt noch mal«, schimpfte er auf sich selbst, dann ging er, um sich bei Joana sein Gewehr abzuholen, aber Sarah hockte bei dem verwundeten Mann im Gang.
»Das ist Miguel«, sagte sie.
»Wer?«
»Miguel. Einer von Ferragus’ Männern.«
»Bist du dir sicher?«
»Natürlich bin ich mir sicher.«
»Sprich mit ihm«, sagte Sharpe zu Vicente. »Finde heraus, wo diese gottverdammten Brüder stecken.« Sharpe trat über den
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