Sharpes Flucht
und führte es nach einem tadelnden Blick auf das Gewehr auf Sharpes Schulter hastig davon.
Sharpe blieb an der Ecke, die auf den kleinen Platz vor Ferragus’ Haus führte, stehen. Er wusste nicht, ob sich der Mann noch in Coimbra aufhielt oder nicht, aber er würde kein Risiko eingehen, sondern spähte vorsichtig um die Mauer herum. Er konnte sehen, dass die Vordertür lose in ihren Scharnieren hing, dass jedes einzelne Stück Fensterglas fehlte und dass die Läden herausgerissen oder zerbrochen worden waren. »Hier ist er nicht«, sagte er.
»Woher weißt du das?«, fragte Vicente.
»Weil er zumindest die Tür versperrt hätte«, antwortete Sharpe.
»Vielleicht haben sie ihn getötet«, mutmaßte Harper.
»Lasst es uns herausfinden.« Sharpe nahm das Gewehr von der Schulter, spannte es, befahl den anderen zu warten, und dann rannte er durch den Flecken Sonnenlicht, nahm auf der Treppe zum Haus drei Stufen auf einmal und stand schließlich in der Halle, wo er sich an den Fuß der Treppe hockte und lauschte.
Stille. Er winkte die anderen herüber. Die beiden Mädchen traten als Erste durch die Tür, und Sarahs Augen weiteten sich vor Entsetzen, als sie die Zerstörung bemerkte. Harper blickte die Treppe hinauf. »Die haben diesem Haus die beschissene Seele aus dem Leib getreten«, sagte er. »Verzeihung, Miss.«
»Schon gut, Sergeant«, sagte Sarah. »Es scheint mich nicht länger zu stören.«
»Das ist wie mit Abwasserkanälen, Miss«, sagte Harper. »Wenn man lange genug drinbleibt, gewöhnt man sich daran. Beim Himmel, hier hat aber jemand gründliche Arbeit geleistet.«
Was immer sich zerbrechen ließ, war in Stücke geschlagen worden. Kristallscherben von einem Leuchter knirschten unter Sharpes Stiefelsohlen, als er die Halle durchquerte und Blicke in den Salon und ins Arbeitszimmer warf. Die Küche war ein einziges Durcheinander aus zerbrochenem Porzellan und verbeulten Töpfen. Selbst der Herd war aus der Wand herausgerissen und zerlegt worden. Im Unterrichtszimmer hatte man die kleinen Stühle, den niedrigen Tisch und Sarahs Schreibtisch zu Splittern zerschlagen. Sie stiegen die Treppe hinauf, sahen in jedes Zimmer und fanden nichts als Zerstörung und absichtliche Verschmutzung. Von Ferragus oder seinem Bruder gab es keine Spur.
»Die Bastarde haben sich verzogen«, sagte Sharpe.
»Aber Major Ferreira war doch auf der Seite der Franzosen, oder etwa nicht?«, fragte Harper, der nicht begriff, warum die Franzosen das Haus eines Verbündeten zerstört hatten.
»Er weiß nicht, auf welcher Seite er steht«, antwortete Sharpe. »Er will einfach nur auf der Seite der Sieger sein.«
»Aber er hat doch den Franzosen seine Vorräte verkauft, oder nicht?«, fragte Harper.
»Wir vermuten, dass er das getan hat«, erwiderte Sharpe.
»Und dann hast du alles verbrannt«, warf Vicente ein. »Und was schließen die Franzosen daraus? Dass die Brüder sie betrogen haben.«
»Also ist es wahrscheinlich«, folgerte Sharpe, »dass die Franzosen das saubere Paar erschossen haben. Das wäre für einen verdammten Froschfresser mal eine gute Tat.« Er warf das Gewehr über seine Schulter und stieg die letzten paar Stufen zum Dachboden hinauf. Er erwartete, dort nichts zu finden, aber die hohen Fenster boten zumindest einen Aussichtspunkt, von dem aus er die Unterstadt überblicken und feststellen konnte, in welcher Stärke sich die Franzosen noch in der Stadt befanden. Er wusste, dass noch welche von ihnen hier waren, denn er konnte sporadische Schüsse hören, die aus der Nähe des Flusses zu kommen schienen. Als er jedoch durch eines der zerbrochenen Fenster spähte, konnte er kein Zeichen des Feindes erkennen, nicht einmal Rauch von Musketen.
Sarah war ihm nach oben gefolgt, während die anderen in dem Stockwerk darunter geblieben waren. Sie lehnte sich auf das Fenstersims und blickte nach Süden, über den Fluss hinweg, in die entlegenen Berge.
»Was machen wir jetzt?«, fragte sie.
»Wir schließen uns der Armee an.«
»Einfach so?«
»Wir haben einen langen Weg vor uns«, sagte Sharpe, »und du brauchst unbedingt bessere Stiefel und bessere Kleidung. Wir werden dir welche suchen.«
»Wie weit müssen wir denn laufen?«
»Vier Tage? Fünf? Vielleicht eine Woche? Ich habe keine Ahnung.«
»Und wo willst du mir Kleidung suchen?«
»Am Straßenrand, mein Herz, am Straßenrand.«
»Am Straßenrand?«
»Als die Franzosen aufbrachen«, erklärte Sharpe, »haben sie die Beute ihrer Plünderungen bei sich
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