Sharpes Flucht
fühlte, wie Ferragus gegen das Fensterbrett fiel. Sharpe duckte sich, versuchte, dem nächsten Schlag auszuweichen, der seine Schädeldecke streifte, aber sogar dieses Streifen genügte, um einen stechenden Schmerz durch seinen Kopf zu senden. Dann aber spürte er, dass Ferragus zuckte. Und noch einmal zuckte er, und jetzt taumelte Sharpe zurück und sah, wie sich Ferragus’ verbliebenes Auge trübte. Der große Mann wirkte verblüfft, und Sharpe holte halb benommen mit der Linken aus, um Ferragus gegen die Kehle zu schlagen. Ferragus versuchte sich zu wehren, versuchte, zwei hammerartige Schläge in Sharpes verletzten Rippen zu landen, aber sein breiter Rücken füllte das Fenster aus, und zum ersten Mal, seit die Belagerung des Gehöfts begonnen hatte, bot sich den Franzosen ein einfaches Ziel. Zwei Musketenkugeln trafen ihn, und er zuckte noch einmal, dann öffnete er den Mund, und Blut quoll heraus.
»Ihre Männer sehen nicht nach draußen, Mister Bullen!«, mahnte Sharpe. Eine letzte Kugel traf Ferragus im Nacken, und wie ein gefällter Baum stürzte er nach vorn.
Sharpe beugte sich vor, um seinen Tschako zu retten, holte tief Atem und fühlte den Schmerz in seinen Rippen. »Möchten Sie einen Rat, Mister Bullen?«, fragte Sharpe.
»Natürlich, Sir.«
»Kämpfen Sie niemals fair.« Er nahm seinen Degen wieder an sich. »Teilen Sie zwei Männer ein, die Major Ferreira begleiten, und zwei weitere, die Lieutenant Slingsby helfen. Und die vier Männer sollen auch diese Taschen tragen.« Er wies auf das Gepäck, das Ferragus und seinen Leuten gehört hatte. »Und das, was drinnen ist, ist Miss Frys Eigentum, also sorgen Sie dafür, dass die diebischen Bastarde die Taschen zugeschnallt lassen.«
»Das werde ich tun, Sir.«
»Und du«, sagte Sharpe zu Sarah, »könntest vielleicht so nett sein und Jorge ein paar Münzen abgeben? Er muss das Boot bezahlen.«
»Natürlich tue ich das.«
»Gut!«, sagte Sharpe, dann wandte er sich an Harper. »Sind alle umgezogen?«
»So gut wie, Sir.«
»Dann beeil dich!« Einen Augenblick dauerte es noch, aber schließlich trug jeder Schütze, sogar Harper, einen roten Rock, obwohl selbst der größte rote Rock an dem Iren lächerlich eng wirkte. Sharpe tauschte die Röcke mit Lieutenant Bullen und hoffte, die Franzosen würden die Schützen wirklich für Rotröcke mit Musketen halten. Er hatte die Männer nicht die Hosen tauschen lassen, weil er befürchtete, dass das zu viel Zeit in Anspruch nehmen würde. Ein Voltigeur mit scharfen Augen mochte sich fragen, warum die Rotröcke dunkelgrüne Hosen trugen, aber das musste er riskieren.
»Wissen Sie, was wir jetzt tun?«, fragte er seine Kompanie. »Wir retten ein Bataillon.«
»Wir gehen nach draußen?« Bullen klang erschrocken.
»Nein, die da gehen.« Sharpe wies auf die drei portugiesischen Zivilisten. Er nahm Harper sein Gewehr ab und spannte es. »Raus mit euch!«
Die drei Männer zögerten, aber sie hatten gesehen, was der Schütze mit ihrem Herrn getan hatte, und hatten furchtbare Angst vor ihm. »Sag ihnen, sie sollen zu dem Karree rennen«, bat Sharpe Vicente. »Sag ihnen, dort sind sie in Sicherheit.«
Vicente wirkte nicht überzeugt, er hatte den Verdacht, dass das, was Sharpe da vorhatte, gegen die Regeln des Krieges verstieß, dann aber bemerkte er Sharpes Gesichtsausdruck und beschloss, sich nicht mit ihm anzulegen. Die drei Männer entschieden ebenso. Sie wurden zur Vordertür geführt, und als sie dort wiederum zögerten, legte Sharpe sein Gewehr an.
Sie rannten los.
Sharpe hatte sie nicht belogen. Sie waren einigermaßen sicher, und je weiter sie sich von dem Bauernhaus entfernten, desto größer wurde ihre Sicherheit. Zuerst reagierte keiner der Franzosen, denn das Letzte, was sie erwarteten, war, dass jemand wagte, das Haus zu verlassen. Daher dauerte es volle vier oder fünf Sekunden, ehe die erste Muskete abgefeuert wurde. Aber die Voltigeure schossen auf Männer, die rannten, Männer, die den Weg entlangflohen, und die Kugeln sausten kreuz und quer ins Leere. Nach fünfzig Yards erreichten die drei Männer das Marschland. Sie kamen jetzt wesentlich langsamer voran, doch dafür vergrößerte sich ihr Abstand zu den Franzosen, die, durch ihre Flucht frustriert, versuchten, zu ihnen aufzuschließen. Sie kamen hinter den Hofgebäuden hervor, strebten auf den Rand des Sumpfgebietes zu und zielten mit ihren Musketen auf die drei Männer, die versuchten, sich einen Weg durch den Morast zu bahnen.
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