Sharpes Flucht
Ferragus’ Stimme hatte jetzt einen gefährlichen Tonfall angenommen.
Pires holte Atem. »Sie haben meine Unterlagen, senhor «, erklärte er. »Sie wissen, dass Sie Lebensmittel eingekauft haben. Wie könnten sie das nicht wissen? Sie haben viel Geld ausgegeben, senhor . Ich habe Anweisung, das alles ausfindig zu machen.«
»Und dann?«, erkundigte sich Ferragus.
»Es muss vernichtet werden«, beharrte Pires und dann, wie um zu zeigen, dass er selbst in dieser Situation hilflos war, berief er sich auf eine höhere Instanz: »Die Engländer bestehen darauf.«
»Die Engländer«, knurrte Ferragus. »Os ingleses por mar!« , schrie er Pires an, dann beruhigte er sich wieder. Die Engländer waren nicht das Problem. Pires war es. »Sie sagen, der Generalmajor hat Ihre Papiere an sich genommen?«
»Allerdings.«
»Aber er weiß nicht, wo die Lebensmittel gelagert sind?«
»Die Unterlagen geben lediglich Auskunft darüber, wie viele Lebensmittel sich in der Stadt befinden«, antwortete Pires, »und wem sie gehören.«
»Er kennt also meinen Namen?«, wollte Ferragus wissen. »Und er hat eine Liste meiner Lager?«
»Keine komplette Liste, senhor .« Pires bestaunte die massiven Lebensmittelstapel und fragte sich, wie Ferragus so viel hatte zusammentragen können. »Er weiß nur, dass Sie einige Vorräte gelagert haben, und er sagte, ich müsse ihm deren Vernichtung garantieren.«
»Also garantieren Sie sie«, sagte Ferragus leichthin.
»Er schickt Männer, die es überprüfen, senhor «, widersprach Pires. »Ich soll sie hierher führen.«
»Sie wissen also nicht, wo sich die Lager befinden«, sagte Ferragus.
»Ich soll heute Nachmittag eine Suchaktion durchführen, senhor , in jedem Warenhaus in der Stadt.« Pires zuckte mit den Schultern. »Ich bin gekommen, um Sie zu warnen«, fügte er als hilflosen Appell hinzu.
»Ich bezahle Sie, Pires«, sagte Ferragus, »damit meine Lebensmittel nicht zu einem Preis, der Diebstahl gleichkommt, konfisziert werden, um die Armee zu füttern. Und jetzt wollen Sie Männer hierher führen, die sie vernichten?«
»Vielleicht könnten Sie sie ja umlagern?«, schlug Pires vor.
»Umlagern!«, brüllte Ferragus. »Und wie in Gottes Namen soll ich sie umlagern? Ich würde hundert Männer und zwanzig Wagen dazu brauchen.«
Pires zuckte lediglich mit den Schultern.
Ferragus starrte auf den Kämmerer hinab. »Sie sind gekommen, um mich zu warnen«, sagte er mit gedämpfter Stimme, »denn Sie werden diese Soldaten herbringen, richtig? Und Sie wollen nicht, dass ich Ihnen die Schuld gebe, ist es so?«
»Sie bestehen darauf, senhor , sie bestehen darauf.« Pires hatte sich jetzt aufs Betteln verlegt. »Und wenn unsere eigenen Truppen nicht kommen, dann kommen die Briten.«
»Os ingleses por mar« , knurrte Ferragus und benutzte seine Linke, um einen Faustschlag in Pires’ Gesicht zu landen. Der Schlag war schnell und außerordentlich kraftvoll, ein Schwinger, der dem Kämmerer die Nase brach und ihn mit blutenden Nasenlöchern rückwärtstaumeln ließ. Ferragus folgte ihm rasch, benutzte seine verwundete Rechte und hieb sie Pires in den Bauch. Der Schlag tat Ferragus weh, aber er ignorierte den Schmerz, weil einem Mann nichts anderes übrig blieb. Schmerz musste ausgehalten werden, und wenn ein Mann keinen Schmerz ertragen konnte, dann sollte er eben nicht kämpfen.
Ferragus drängte Pires gegen die Wand des Lagerhauses und schlug systematisch auf ihn ein, links und rechts, jeder Schlag aus kurzer Entfernung, doch mit der Kraft eines Hammers geführt. Die Fäuste drangen auf den Leib des Kämmerers ein, brachen ihm die Rippen, die Wangenknochen, und auf Ferragus’ Hände und Ärmel spritzte Pires’ Blut. Er aber schenkte dem Blut so wenig Beachtung, wie er dem Schmerz in seiner Hand und seinen Lenden Beachtung schenkte. Er tat, was er zu tun liebte, und schlug jetzt noch härter zu, um das erbärmliche Geschrei und Geheule des Kämmerers zum Verstummen zu bringen. Er sah, wie der Atem des Mannes rosafarbene Blasen warf, als seine riesige Faust die gebrochenen Rippen in seine Lungen trieb. Es erforderte enorme Kräfte, so etwas zu tun. Einen Mann mit den bloßen Händen zu töten, ohne ihn zu erwürgen.
Pires sackte gegen die Wand. Er hatte keine Ähnlichkeit mit einem Menschen mehr, obwohl er immer noch lebte. Alles Fleisch, was von ihm sichtbar war, war geschwollen, blutig, aufgeplatzt. Seine Augen hatten sich geschlossen, seine Nase war gebrochen, sein Gesicht war eine
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