Sharpes Flucht
bestand darauf, dass die Lager zerstört werden sollten.
Ferragus schnallte sich einen Messergurt um, steckte sich eine Pistole in die Tasche und machte sich auf den Weg durch die Stadt. Viele Leute waren in den Straßen unterwegs und lauschten dem entfernten Kanonendonner, als könnte ihnen das An- und Abschwellen des Lärms verraten, wie die Schlacht verlief. Sie gaben Ferragus den Weg frei, die Männer zogen ihre Hüte, als er vorbeiging. Zwei Priester, die die Kostbarkeiten aus ihrer Kirche auf einen Handkarren luden, bekreuzigten sich, als sie ihn sahen, und Ferragus revanchierte sich, indem er mit seiner linken Hand das Gehörn des Teufels formte und dann auf das Pflaster spuckte. »Ich habe dieser Kirche vor einem Jahr dreißigtausend vinténs gespendet«, sagte er zu seinen Männern. Das war ein kleines Vermögen, nahezu hundert Pfund in englischem Geld. Er lachte. »Priester«, schnaubte er, »sind wie Frauen. Gib ihnen etwas, und sie hassen dich.«
»Dann geben Sie ihnen doch nichts«, schlug einer seiner Männer vor.
»Der Kirche gibt man nun einmal«, erwiderte Ferragus, »denn damit erwirbt man sich den Weg ins Himmelreich. Aber von einer Frau nimmt man besser. Auch damit erwirbt man sich den Weg ins Himmelreich.« Er bog in eine schmale Allee ab und schob sich durch eine Tür in ein riesiges Lagerhaus, in das durch verstaubte Deckenfenster trübes Licht fiel. Katzen fauchten ihn an, dann sprangen sie davon. Es gab hier Dutzende von Katzen, die den Inhalt des Lagerhauses vor Ratten schützten. Ferragus wusste, dass sich das Lager bei Nacht in ein blutiges Schlachtfeld verwandelte, wenn die Ratten gegen die hungrigen Katzen kämpften, aber letzten Endes trugen die Katzen immer den Sieg davon und schützten die Fässer mit Zwieback, die Säcke voll Weizen, Hafer und Mais, die Blechbehälter, die mit Reis gefüllt waren, die Kisten mit eingesalzenem Kabeljau und die Bottiche mit eingesalzenem Rindfleisch. Es befand sich genug Essbares im Raum, um Massénas Armee auf dem ganzen Weg bis nach Lissabon zu ernähren, und genug Fässer mit Tabak, um sie den ganzen Weg zurück nach Paris über husten zu lassen. Er bückte sich, um einen großen, einäugigen Kater, der Narben aus hundert Kämpfen davongetragen hatte, am Hals zu kraulen. Die Katze fletschte vor Ferragus die Zähne, ließ dann aber die Liebkosung zu. Schließlich wandte sich Ferragus zwei seiner Männer zu, die bei dem Kämmerer standen, der eine grüne Schärpe trug, um zu zeigen, dass er sich im Dienst befand.
Der Kämmerer war der offizielle Lagerverwalter, der von der Regierung eingestellt worden war, um sicherzustellen, dass ausreichend Rationen für die portugiesische Armee vorhanden waren. Jede nennenswerte Stadt in Portugal hatte einen solchen Kämmerer, der sich vor der Junta für Vorräte in Lissabon verantworten musste, und der Lagerverwalter von Coimbra war ein dicklicher Mann mittleren Alters, der den Namen Rafael Pires trug. Er riss sich den Hut vom Kopf, als er Ferragus erkannte, und schien im Begriff, auf ein Knie zu sinken.
»Senhor Pires«, grüßte Ferragus ihn ziemlich freundlich. »Geht es Ihrer Frau und Ihren Kindern gut?«
»Ja, das tut es, senhor, dem Himmel sei Dank.«
»Sind sie noch hier? Haben Sie sie nicht nach Süden gesandt?«
»Sie sind gestern aufgebrochen. Ich habe eine Schwester in Bemposta.« Bemposta war ein kleiner Ort nicht weit von Lissabon, die Art von Städtchen, die die Franzosen bei ihrem Vorstoß womöglich ignorieren würden.
»Dann können Sie sich glücklich schätzen. Sie werden nicht in den Straßen von Lissabon hungern müssen. Also, was führt Sie hierher?«
Pires fingerte an seinem Hut herum. »Ich habe Befehle, Sir.«
»Befehle?«
Pires wies mit seinem Hut auf die gewaltigen Stapel von Lebensmitteln. »Das muss alles vernichtet werden, senhor. Das alles.«
»Wer sagt das?«
»Der Generalmajor.«
»Und Sie nehmen Befehle von ihm entgegen?«
»Ich bin angewiesen, das zu tun, senhor.«
Der Generalmajor war der militärische Kommandant von Coimbra und den umliegenden Bezirken. Seiner Verantwortung oblag es, die Ordenança, die Bürgerwehr, zu rekrutieren, die die Armee für den Fall, dass die Feinde einrückten, verstärken konnte. Vom Generalmajor wurde darüber hinaus erwartet, dass er die Dekrete der Regierung durchsetzte.
»Was werden Sie also tun?«, wandte sich Ferragus an Pires. »Alles aufessen?«
»Der Generalmajor schickt Männer her«, antwortete Pires.
»Hierher?«
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