Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sharpes Gefecht

Sharpes Gefecht

Titel: Sharpes Gefecht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Cornwell
Vom Netzwerk:
plötzlich strahlte das Dorf eine geradezu kindliche Bedrohung aus. Es war wie die Burg eines bösen, schlafenden Riesen, der in keinem Fall geweckt werden durfte, wenn man nicht vernichtet werden wollte.
    Warum riskiere ich das überhaupt?, fragte sich Sharpe. Er wusste es nicht. Er wusste nur, dass er nicht zur Festung seines erbittertsten Feindes gekommen war, um jetzt einfach wieder umzudrehen. »Behaltet die Fenster im Auge«, sagte er zu seinen Männern. Dann schlich er durch die Schatten einer Mauer bis zu der Stelle, wo nur noch ein paar verstreute Steine verrieten, wo die Mauer einst weitergegangen war.
    Aber diese verstreuten Steine mit ihren Schatten boten wenigstens etwas Deckung. Sharpe starrte die Steinhaufen an und überlegte, ob er sich auch in den kleineren Schatten würde verbergen können. Dann schaute er wieder zum Dorf. Nichts rührte sich dort außer dem Rauch von Holzfeuern, der in der sanften Nachtbrise waberte.
    »Kommen Sie wieder zurück, Sir!«, zischte Harper leise.
    Doch stattdessen atmete Sharpe tief durch, legte sich flach auf den Boden und kroch ins Mondlicht hinaus. Wie eine Schlange glitt er zwischen den Steinen hindurch, so langsam, dass kein Wachtposten die Bewegung inmitten der Schatten wahrnehmen konnte. Immer wieder blieb er mit seinem Gürtel, seinen Taschen oder dem Bandolier an den Steinen hängen, doch jedes Mal befreite er sich wieder und kroch ein paar Fuß weiter, bevor er sich nicht mehr rührte und in Richtung Dorf lauschte. Er rechnete fest damit, das Klicken von Zündhähnen zu hören, die gespannt wurden, kurz darauf gefolgt von einem ohrenbetäubenden Schuss. Doch er hörte nichts außer dem sanften Rauschen des Windes. Noch nicht einmal ein Hund bellte.
    Sharpe kroch immer näher und näher heran, bis die Steinhaufen schließlich endeten und nur noch eine mondbeschienene, freie Fläche zwischen ihm und der Wand des nächstgelegenen Hauses war. Sharpe starrte zu dem Fenster hinauf und sah nichts. Und er roch auch nichts außer dem Gestank der Misthaufen in der Stadt: keinen Tabak, kein nasses Sattelleder, keine ungewaschenen Uniformen. Nur der schwache Geruch eines Holzfeuers mischte sich unter den Gestank von Mist, doch ansonsten deutete nichts darauf hin, dass sich Menschen im Dorf befanden. Zwei Fledermäuse flatterten dicht an der Wand vorbei.
    Sharpe war inzwischen nahe genug an das Dorf herangekommen, um Spuren der Vernachlässigung zu sehen. Der Putz bröckelte. Auf den Dächern fehlten Schindeln, und die Fensterrahmen waren herausgebrochen, wahrscheinlich, um sie als Feuerholz zu verwenden. Die Franzosen hatten die Einwohner von San Cristóbal vertrieben und eine Geisterstadt daraus gemacht. Sharpe schlug das Herz bis zum Hals, während er versuchte, irgendetwas zu hören, das ihm verriet, was sich hinter den Mauern befand. Er spannte den Hahn seines Gewehrs, und das Klicken hallte unnatürlich laut durch die Nacht, doch niemand rief ihm eine Herausforderung entgegen.
    »Ach, scheiß drauf.« Sharpe hatte das unwillkürlich laut gesagt, und im selben Moment stand er auf.
    Er fühlte förmlich, wie Harper hundert Schritt entfernt die Luft anhielt. Die lautesten Geräusche in der Nacht waren Sharpes Stiefel im Gras und der Atem in seiner Kehle. Er streckte die Hand aus und berührte die kalte Wand, und niemand schoss oder rief ihn an, und so ging Sharpe um den Dorfrand herum, vorbei an den zugemauerten Fenstern und den verbarrikadierten Straßen, bis er schließlich das Labyrinth am Eingang erreichte.
    Fünf Schritte von der äußeren Mauer entfernt blieb er stehen. Er leckte sich die Lippen und starrte in die dunkle Öffnung. Wurde er beobachtet? Zog Loup ihn wie der Zauberer im Turm immer näher zu sich heran? Hielten die Franzosen den Atem an, und konnten sie ihr Glück kaum fassen, dass ihr Opfer zu ihnen kam, langsam, Schritt für Schritt? Würde gleich die Hölle losbrechen? Würden gleich die ersten Schüsse fallen, gefolgt von Blut und Schmerz? Bei dem Gedanken wäre Sharpe beinahe wieder umgekehrt, doch das verbot ihm sein Stolz, und er ging einen Schritt näher heran.
    Und dann noch einen und noch einen, und plötzlich stand er mitten in der Öffnung, und nichts rührte sich. Gar nichts. Nun sah Sharpe auch die zweite Mauer und links einen weiteren, verlockenden Durchgang. Er schlüpfte hinein, weg vom Mondlicht und außer Sichtweite seiner Riflemen. Jetzt war er in dem Labyrinth, in Loups Falle, und er zwängte sich durch den engen Spalt zwischen

Weitere Kostenlose Bücher