Sharpes Gold (German Edition)
verwesenden Inhalt auf dem Boden verstreut.
Hatten die Franzosen von dem Gold gehört, fragte sich Sharpe, oder gingen sie mit jedem Friedhof so um? Die Toten zu schänden war ein Hohn, eine Gefühllosigkeit, wie sie sich ein Mann nicht schlimmer ausdenken konnte, aber Sharpe nahm an, dass das im Krieg zwischen Partisanen und Franzosen so üblich war.
Sergeant Harper trat unvermittelt einen Schritt vor. »Sie haben nicht alle Gräber geöffnet, Sir«, sagte er tröstend, mit überraschendem Einfühlungsvermögen.
El Católico lächelte ihm zu, sah, dass Harper auf ein frisches Grab deutete, das ordentlich mit Erde bedeckt war und nun auf seinen Grabstein wartete. Der hochgewachsene Mann nickte. »Nicht alle. Vielleicht war keine Zeit. Ich habe ihn vor sechs Tagen bestattet. Ein Bediensteter, ein guter Mann.«
Da ertönte ein Knacken, und sie wandten sich alle Ramon zu, der immer noch mit dem Baker-Gewehr hantierte. Er hatte die kleine Klappe am Kolben gelöst und schien beeindruckt von den Reinigungsgeräten, die sich darunter verbargen. Er gab Sharpe das Gewehr zurück. »Eines Tages werde ich so eines haben, ja?«
»Eines Tages werde ich Ihnen eines schenken. Wenn wir zurückkommen.«
Ramon hob die Augenbrauen. »Sie kommen zurück?«
Sharpe lachte. »Wir kommen zurück. Wir werden die Franzosen bis nach Paris verfolgen.«
Er hängte sich sein Gewehr über die Schulter und entfernte sich von El Católico, ging über den Friedhof und durch das gusseiserne Seitentor, das auf die Felder hinausführte. Falls er auf frische Luft gehofft hatte, unberührt vom Tode, hatte er Pech. Neben dem Tor, halb verborgen hinter saftig grünen Büschen, befand sich ein riesiger Misthaufen, stinkend und warm. Sharpe drehte sich um und sah, dass El Católico ihm gefolgt war.
»Sie glauben also, der Krieg sei nicht verloren, Captain?«
Sharpe fragte sich, ob er richtig lag, in den Worten des Spaniers einen Hauch von Besorgnis zu entdecken. Er zuckte mit den Schultern. »Er ist nicht verloren.«
»Sie irren sich.« Sollte der Spanier sich Sorgen gemacht haben, waren sie nun verschwunden. Er sprach laut, mit geradezu schneidender Stimme. »Sie haben verloren, Captain. Nur ein Wunder kann die Briten jetzt noch retten.«
Sharpe imitierte den verächtlichen Tonfall. »Wir sind alle verdammte Christen, ist es nicht so? Wir glauben an Wunder.«
Kearseys Protest wurde durch ein glockenhelles Lachen aufgehalten. Sämtliche Anwesenden erstarrten, drehten sich um und sahen Teresa, die sich bei ihrem Vater eingehakt hatte und neben ihm am Eingang zur Einsiedelei stand. Das Lachen verstummte, und ihr Gesicht wurde wieder ernst. Aber Sharpe glaubte, zum ersten Mal gesehen zu haben, dass sie dem hochgewachsenen Spanier mit dem grauen Umhang nicht ganz und gar verfallen war. Sie ging sogar so weit, dem Schützen zustimmend zuzunicken, ehe sie sich abwandte. Die Wunder, dachte Sharpe, fangen bereits an.
KAPITEL 11
Mit der Hochstimmung war es vorbei. Das Versagen machte sich als Katerstimmung bemerkbar, holte sich seinen Tribut an Depression und Bedauern, während Sharpe von Casatejada aus gen Westen marschierte, den beiden Flüssen entgegen, die die Leichte Kompanie und das zum Untergang verurteilte britische Heer trennten.
Sharpe war verärgert und enttäuscht, er fühlte sich betrogen. Der Abschied war wenig freundlich ausgefallen. Ramon hatte ihn nach spanischer Sitte umarmt, mit einem Knoblauchkuss auf beide Wangen, und der junge Mann hatte den Eindruck erweckt, als sei er über die Trennung von der Leichten Kompanie wirklich betrübt. »Denken Sie an Ihr Versprechen, Captain. Ein Gewehr.«
Sharpe hatte es versprochen, aber er fragte sich niedergeschlagen, wie er sein Versprechen halten sollte. Schon bald würde sich Almeida im Belagerungszustand befinden, die Franzosen würden das Land zwischen den Flüssen beherrschen, und die Briten, denen die endgültige Niederlage drohte, würden sich westwärts in Richtung Meer zurückziehen. Und alles, was zwischen der Fortsetzung des Feldzuges und der ruhmlosen, erbitterten Einschiffung stand, war sein Verdacht, dass das Gold noch in Casatejada war, ebenso geschickt verborgen, wie die Partisanen ihre Nahrungsmittel und ihre Waffen versteckten. Er erinnerte sich an Wellingtons Worte. » Müssen , haben Sie gehört? Müssen! «
Es gibt doch sicher noch anderes Gold, dachte Sharpe. Gold in den Kellern von London, in den Handelsbanken, den Kontoren, den Bäuchen der Handelsschiffe. Warum gerade
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