Sharpes Zorn (German Edition)
Die alliierte Armee sollte wie ein Sturm über das ungeschützte Hinterland der französischen Belagerungslinien hinwegfegen. Sir Thomas stellte sich vor, wie seine Männer durch die französischen Lager stürmten, ihre Artilleriestellungen zerlegten, die Magazine in die Luft jagten und die geschlagene Armee aus den Schanzen und vor die Geschütze der britischen Garnison auf der Isla de León trieben. Das Einzige, was sie dafür brauchten, war Schnelligkeit, Schnelligkeit und noch mal Schnelligkeit. Doch am zweiten Tag hatte General Lapena beschlossen, seinen fußkranken Truppen eine Pause zu gönnen und nicht wie geplant die Nacht durchzumarschieren. Und selbst da hätte es noch funktionieren können, nur dass sich die spanischen Kundschafter im Sternenlicht verirrten und die Armee im Kreis marschierte. »Gottverdammt noch mal!«, hatte Sir Thomas geschrien. »Können die denn noch nicht einmal den Polarstern erkennen?«
»Da sind Sümpfe, Sir Thomas«, hatte der spanische Verbindungsoffizier versucht, Sir Thomas zu beruhigen.
»Gottverdammt noch mal! Marschieren Sie doch einfach die Straße lang!«
Aber sie waren der Straße nicht gefolgt, und so wanderte die Armee, hielt an, und die Männer hockten sich in die Felder, wo einige zu schlafen versuchten. Doch die Erde war feucht und die Nacht überraschend kalt, sodass nur wenige die Augen schließen konnten. Die Briten zündeten sich ihre Pfeifen an, und die Offiziersburschen führten die Pferde ihrer Herren herum, während sich die Kundschafter über den richtigen Weg stritten. Schließlich zeigten ihnen einige Zigeuner, die man in ihrem Lager neben einem Eichenhain geweckt hatte, den Weg nach Medina Sidonia. Die Soldaten waren zwölf Stunden lang marschiert, und als sie gegen Mittag biwakierten, hatten sie erst sechs Meilen zurückgelegt. Wenigstens war es der Kavallerie der King’s German Legion, die Sir Thomas unterstellt worden war, gelungen, ein halbes Bataillon französischer Furagiere zu überraschen. Sie hatten ein Dutzend Feinde erschlagen und doppelt so viele gefangen genommen.
Von neuer Kraft erfüllt, hatte General Lapena dann vorgeschlagen, schon am Nachmittag wieder loszumarschieren, doch die Männer waren von dem sinnlosen Nachtmarsch erschöpft, und es waren noch nicht einmal alle Rationen ausgegeben. Also war Lapena mit Sir Thomas übereingekommen zu warten, bis die Männer gegessen hatten. Dann beschloss er, dass sie noch ein wenig schlafen sollten, bevor sie bei Einbruch der Nacht wieder losmarschierten. Doch zu diesem Zeitpunkt war Lapena selbst noch nicht fertig. Offenbar hatte ein französischer Offizier, der von der deutschen Kavallerie gefangen genommen worden war, verraten, dass Maréchal Victor die Garnison in Medina Sidonia auf mehr als dreitausend Mann verstärkt hatte. »Da können wir nicht hin«, hatte Lapena daraufhin erklärt. Er war ein schwermütiger Mann, ging leicht gebeugt und hatte einen nervösen Blick. »Dreitausend Mann! Die können wir zwar schlagen, aber zu welchem Preis? Verzögern, Sir Thomas, verzögern. Sie werden uns aufhalten, während Maréchal Victor uns ausmanövriert!« Mit weit ausholenden Gesten hatte er das Umfassungsmanöver beschrieben und schließlich das unvermeidliche Ende mit einem Schlag auf den Tisch betont. »Wir werden nach Vejer gehen. Heute noch!« Diese Entscheidung hatte er sogar mit einer gewissen Energie verkündet. »Von da können wir dann Chiclana aus dem Süden angreifen.«
Und das war sogar ein vernünftiger Plan. Der gefangene französische Offizier, ein bebrillter Capitaine mit Namen Brouard, trank zu viel von Lapenas Wein und enthüllte fröhlich, dass es in Vejer überhaupt keine Garnison gab. Sir Thomas wusste, dass von der Stadt aus eine Straße nach Norden führte, was hieß, dass die Armee dann von Süden gegen die französischen Belagerungsschanzen vorrücken würde anstatt von Osten, und obwohl er nicht mit der Entscheidung zufrieden war, erkannte er doch das Vernünftige des Plans.
Bis die geänderten Befehle weitergegeben waren, war es bereits Mittag, und nun herrschte Chaos in der Armee. Es war zum Verrücktwerden. Das war Inkompetenz in Reinkultur.
Vejer war über die Ebene hinweg deutlich zu sehen, eine Stadt mit weißen Häusern auf einem Hügel am nordwestlichen Horizont. Doch die Kundschafter hatten die Armee erst einmal nach Südosten geführt. Sir Thomas war zu Lapena geritten und hatte ihn so diplomatisch wie möglich auf die Stadt aufmerksam gemacht. Also
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